Pflege-Report 2020: Pflegehaushalte sind „hoch belastet“

Seniorin-Tochter-356679797-AS-pikselstockSeniorin-Tochter-356679797-AS-pikselstockpikselstock – stock.adobe.com

Etwa ein Viertel der Pflegehaushalte ist durch die Pflege zeitlich und psychisch sehr stark belastet. Gleichzeitig tragen Haushalte, in denen Angehörige gepflegt werden, im Durchschnitt nur geringe finanzielle Eigenbeteiligungen.

Dies geht aus einer Befragung für den Pflege-Report 2020 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor. Für die Studie befragte Forsa im Auftrag des WIdO von Dezember 2019 bis Januar 2020 rund 1.100 pflegende Angehörige.

Durchschnittlich geben die befragten Pflegehaushalte eine zeitliche Belastung von mehr als achteinhalb Stunden (8,6 Stunden) pro Tag für die Unterstützung der Pflegebedürftigen an.

Von dieser Zeit übernehmen fast drei Viertel die Haupt-Pflegepersonen. Etwa 1,5 Stunden werden von anderen – nicht bezahlten – Personen erbracht. Nur knapp eine Dreiviertelstunde (0,7 Stunden) pro Tag erbringen Pflegedienste oder andere Leistungen der Pflegeversicherung.

Ungleiche Verteilung der zeitlichen Belastungen 

Dr. Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO und Mitherausgeberin des Pflege-Reports, sagt dazu:

„Die Leistungsangebote der Pflegeversicherung sind in den letzten Jahren deutlich ausgebaut und flexibler gestaltet worden. Trotzdem ist jede vierte Person, die einen Angehörigen zu Hause pflegt, durch die Pflege insgesamt hoch belastet. Gleichzeitig machen die Ergebnisse unserer Befragung deutlich, dass die zeitliche Belastung durch die Pflege sehr ungleich verteilt ist.“

Die Hälfte der pflegenden Angehörigen wendet rund vier Stunden und weniger pro Tag für die Pflege auf. Ein Viertel der Haushalte hingegen leistet mindestens siebeneinhalb Stunden (7,6 Stunden) pro Tag.

Hoher Pflegegrad bedeutet hohe Belastung

Haushalte, in denen Menschen mit den Pflegegraden 3 bis 5 oder mit einer demenziellen Erkrankung gepflegt werden, sind besonders stark gefordert: Hier leistet ein Viertel der betroffenen Haushalte rund zehn Stunden Pflegearbeit pro Tag. Jeder zehnte dieser Haushalte gibt sogar Pflegezeiten von 20 Stunden und mehr pro Tag an.

Insgesamt ergab sich auf Basis der sogenannten „Häusliche-Pflege-Skala“ (HPS) für knapp 26 Prozent der befragten Pflegepersonen eine "hohe Belastung". Die Skala ergibt sich unter anderem aus Fragen zur körperlichen Erschöpfung, Lebenszufriedenheit und psychischen Belastung. Für 43 Prozent wurde eine mittlere Belastung festgestellt, nur bei knapp 31 Prozent der Pflegenden ist sie niedrig.

Ambulante Pflege: Eigenanteile im Durchschnitt bei 250 Euro pro Monat

Dagegen in Grenzen halten sich die finanziellen Aufwendungen der Haushalte, in denen Angehörige gepflegt werden. Die Befragung zeigt, dass nur jeder vierte Pflegebedürftige (25 Prozent) selbst Eigenleistungen für die Pflege und Betreuung zu Hause zu tragen hat. In diesem Fall liegen sie im Durchschnitt bei rund 250 Euro im Monat.

Auch Haushalte, die Sachleistungen der Pflegeversicherung wie einen Pflegedienst oder Tagespflege nutzen, sind nur zu knapp 40 Prozent von Eigenanteilen betroffen. Sie zahlen im Schnitt etwa 200 Euro pro Monat. Nur fünf Prozent der Befragten gaben an, zusätzlich privat weitere Hilfen zu bezahlen.

Schwinger, Pflege-Expertin, erklärt dazu:

„Insgesamt zeigen sich deutlich geringere finanzielle Belastungen als in der vollstationären Pflege, wo die Eigenanteile - und zwar nur für Pflege und Betreuung - im vergleichbaren Zeitraum zur Befragung im 4. Quartal 2019 im Durchschnitt 775 Euro betrugen.“

Wunsch nach Unterstützung bei pflegenden Angehörigen

Die Probleme der meisten Befragten liegen in anderen Bereichen. Die Hälfte der Befragungsteilnehmer äußert den Wunsch nach mehr Unterstützung in den Bereichen „Körperpflege, Ernährung und Mobilität", beim Thema „Betreuung und Beschäftigung im Alltag" sowie bei der „Führung des Haushalts".

Bei pflegenden Angehörigen, die laut Häusliche-Pflege-Skala „hoch belastet" sind, ist der Wunsch nach Unterstützung in den genannten Bereichen noch deutlich stärker ausgeprägt. Bis zu 75 Prozent dieser Personen wünschen sich mehr Unterstützung. Das gilt auch für andere abgefragte Bereiche wie „Hilfe in der Nacht“.

Insgesamt fühlt sich jeder fünfte Befragte (22 Prozent) bei der Bewältigung der Pflege „eher nicht gut“ oder „überhaupt nicht gut“ unterstützt. Jeder Vierte (25 Prozent) kann die Pflegesituation nach eigener Auskunft „nur noch unter Schwierigkeiten“ oder „eigentlich gar nicht mehr“ bewältigen. Unter den pflegenden Angehörigen, die Demenzkranke oder Menschen mit den höheren Pflegegraden 3 bis 5 versorgen, betrifft dies sogar jeweils rund ein Drittel der Befragten.

Individuelle Bedarfe der Betroffenen fokussieren

Dr. Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO, meint hierzu:

„Es greift zu kurz, bei der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung nur über eine Begrenzung der Eigenanteile für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen zu sprechen. Auch in der häuslichen Pflege gibt es erhebliche Belastungen.“

Diese seien aber nicht in erster Linie finanzieller Art, sondern lägen vor allem in der zeitlichen und emotionalen Belastung der Personen, die hauptsächlich für die Pflege zuständig sind.

Hier sei das Bild sehr heterogen: von relativ entspannten Pflege-Situationen bis zu pflegenden Angehörigen, die mit ihrer Kraft am Ende seien und dringend Unterstützung bräuchten.

Schwinger fordert daher:

„Wir müssen auch in der ambulanten Pflege die individuell sehr unterschiedlichen Bedarfslagen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen stärker in den Blick nehmen. Es ist bemerkenswert, dass jeder vierte Befragte eine hohe subjektive Belastung angibt.
Frühere Befragungen zeigten hier wesentlich geringere Anteile. Auch wenn die Befragungen unterschiedliche methodische Zugänge aufweisen, wirft dies Fragen auf, was den Erfolg der Reformbemühungen in den letzten Jahren angeht.“

Notwendig sind gezielte Hilfen für Pflegehaushalte

Die Leistungen und Hilfen der Pflegeversicherung müssten noch stärker differenziert und gezielt bestimmten Haushalten gewährt werden. Und zwar solchen, die einen besonders hohen Bedarf haben oder sich in einer Krisensituation befinden.

Dr. Antje Schwinger argumentiert hierzu:

„Ein gezielterer Einsatz der Mittel ist auch angesichts des enger werdenden Finanzierungsspielraums der Pflegeversicherung dringend geboten.“

Hier geht's zum Download des Pflegereport-2020.

LESEN SIE AUCH

Vater-Sohn-Umarmung-253627252-DP-AllaSerebrinaVater-Sohn-Umarmung-253627252-DP-AllaSerebrina
Marketing & Vertrieb

Pflegeberatung hilft Angehörigen: Möchte oder muss ich pflegen?

Wer vor der Entscheidung steht, die Pflege für eine*n Angehörige*n zu übernehmen, sollte im Vorfeld klären, welche Beweggründe dafür sprechen und welche Herausforderungen mit dieser Entscheidung verbunden sein können. Pflegeberatung hilft Angehörigen bei der Klärung dieser Fragen.

Senior man in nursing home with doing physical therapySenior man in nursing home with doing physical therapyDC Studio – stock.adobe.com
Pflege & Gesetz

Pflegekosten: Große Mehrheit für Vollversicherung in der Pflege

Eine parteiübergreifende Mehrheit der Bevölkerung (81 Prozent) ist für den Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung. Unter den Anhänger*innen der SPD sind 79 Prozent, bei den Grünen 82 Prozent, in der CDU 78 Prozent sowie 76 Prozent in der FDP.

A sad lonely 70 years old senior in is apartmentA sad lonely 70 years old senior in is apartmentpololia – stock.adobe.com
Presseportal

Eigenanteile der Pflegebedürftigen und Belastungen für Beitragszahlende steigen ungebremst

Pflegebedingte Eigenanteile der Pflegebedürftigen stiegen infolge von Preissteigerungen und Lohnerhöhungen von 2021 auf 2022 um 24 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 erfolgte ein weiterer Anstieg um knapp 8 Prozent.

nurse doctor senior care caregiver help assistence retirement honurse doctor senior care caregiver help assistence retirement hoLumos sp – stock.adobe.com
Pflege & Gesetz

Steigende Pflegekosten: Verbände-Bündnis fordert Vollversicherung für die Pflege

Fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen ist auf Sozialhilfe angewiesen. Auch die jüngste Pflegereform löst das Problem nicht. Denn dieer monatliche Eigenbeteiligung ist binnen eines Jahres bundesweit im Durchschnitt um 348 Euro auf aktuell 2.548 Euro angestiegen.

DEVK-PM-2020-07-10-Mobilität-in-Corona-Zeiten-Grafik.jpgDEVK-PM-2020-07-10-Mobilität-in-Corona-Zeiten-Grafik.jpg
Marketing & Vertrieb

Mobilität in Corona-Zeiten: Fahrrad fahren und zu Fuß gehen im Trend

Die Deutschen fahren seltener mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Dafür gehen sie häufiger zu Fuß oder fahren Rad. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung von mehr als 2.000 Bundesbürgern. Im Auftrag der DEVK Versicherungen hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov gefragt, welche Fortbewegungsmittel die Deutschen seit Beginn der Corona-Pandemie seltener oder häufiger nutzen.
CosmosDirekt_Zahl-der-Woche_Spritverbrauch_300dpi.jpegCosmosDirekt_Zahl-der-Woche_Spritverbrauch_300dpi.jpeg  obs/CosmosDirekt/Adobe Stock
Marketing & Vertrieb

Zahl der Woche: Mehr als angegeben: So schätzen Autofahrer den Spritverbrauch ihres Fahrzeugs ein

Seitdem diverse vom Abgasskandal betroffene Fahrzeuge durch die Republik rollen, ist die Skepsis der Autofahrer in Deutschland bezüglich der Herstellerangaben gestiegen. Dass auch der Verbrauch eines Fahrzeugs unter Laborbedingungen ein anderer ist als im wirklichen Leben, scheint klar. Aber wie genau kennen die Autofahrer ihren eigenen Spritverbrauch?