Wie starkes Schadenmanagement zum gefährlichen „Service“ wird

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Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 07. Juli 2020, Az. VI ZR 308/19) entschied, dass ein angestellter Schadenregulierer deliktisch (mit-)haftet, wenn er seine vermeintliche Sachkunde für einen Geschädigten einsetzt, indem er Einfluss auf die Leistungserbringung Dritter nimmt; § 823 I BGB.

Im konkreten Fall hatte der Geschädigte einen haftpflichtversicherten Zylinderkopfschaden erlitten, welcher durch nur scheinbar sachkundige Empfehlung eines Arbeitnehmers (AN) des Versicherers (VR), „unnötige“ Maßnahmen zu sparen (kein angeblich nur kostentreibender Austausch eines Zusatzantriebsriemens), zum wirtschaftlichen Totalschaden führte.

Auch bei Maklern angestellte sachkundige Schadenabwickler haften persönlich

Wer für sich in Anspruch nimmt, entsprechende Sachkunde – woher auch immer – zu besitzen, gelangt bereits mit fahrlässigem Verhalten in die Haftung aus unerlaubter Handlung. Eines (gegebenenfalls bedingten) Vorsatzes bedarf es mithin nicht – der AN kann also im guten Glauben gehandelt haben, dem letztlich dadurch Geschädigten zu nützen.

Selbst einfache Angestellte, ohne echtes Expertenwissen, sind betroffen

Die Masse der einfacheren Angestellten (AN) ist betroffen, nicht nur die wenigen echten „Experten“. Etwa die, die mit vorgegebener angeblicher Sachkunde weisungsgebunden nach „Kochbuch“ dem Arzt/Zahnarzt erklären, welche Maßnahmen weshalb nicht erforderlich sind, weshalb sie auch nicht vom VR bezahlt würden. Also mit vorgeblicher Sachkunde und Nachdruck auf dessen Behandlung Einfluss nehmen, in der Erwartung, dies werde dann so umgesetzt.

Volle Außenhaftung neben dem VR – fraglicher Regress gegenüber dem Arbeitgeber

Grundsätzlich haften AN voll bei ihrer Tätigkeit – lediglich haben sie einen von leichter Fahrlässigkeit bis Vorsatz abgestuften Anspruch von voller Haftung bis zur vollständigen Freistellung durch ihren Arbeitgeber (AG), was bei Insolvenz natürlich ins Leere geht.

Der Wink mit dem Zaunpfahl durch den BGH

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Viele Schadensachbearbeiter (SSB) bemühen sich „überobligatorisch“ darum, gegenüber dem VN, dem Geschädigten oder auch etwa einer vom VN beauftragten Werkstatt, Heilbehandler, Rechtsanwalt, auf dessen Leistung Einfluss zu nehmen. Dies nicht nur durch reines Bestreiten der Leistungspflicht des Versicherers, sondern mit Geltendmachung von angeblicher Fachkunde medizinischer, technischer oder rechtlicher Art – etwa unter dem Begriff „Case Management“.

Damit aber kann – wenn der Betroffene oder seine Werkstatt, Heilbehandler, Rechtsanwalt et cetera dem (auch wegen der sonst zu erwartenden Nichterstattung durch den VR) auch sogar wie hier beim BGH wider besseren Wissens folgen – ein Schaden entstehen, für den der Angestellte dann persönlich selbst (mit-)haften kann.

Überobligatorische Einflussnahme zur Karriereförderung?

Hierbei (vergleiche VW-Dieselaffäre) gibt es sicher Vorstellungen der SSB, was der AG von ihnen erwartet. Gegebenenfalls auch Eigeninitiative ohne Weisung oder auch sogar gegen Weisungen des AG, um (karrierefördernden) Erfolg zu haben. Dabei kann es zum Beispiel zur gezielten Präsentation von dies unterstützenden Urteilen kommen, etwa ein (gegebenenfalls nicht mal einschlägiges oder veraltetes) Zufallsurteil, dem eine Überzahl weggelassener anderer entgegensteht.

Peter-A-Schramm-2019-Aktuariat-SchrammPeter-A-Schramm-2019-Aktuariat-Schramm Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik

Oder etwa eine vereinzelte oder veraltete „Fach“-Veröffentlichung. Unter Umständen erfolgt dies gar durch den SB auf explizite Weisung seines AG, gegebenenfalls auch wider besseren Wissens, was ihn aber extern ebenso haften lässt.

Wird er verklagt (er ist ja persönlich passivlegitimiert), kann er sich oft gar nicht auf Weisung berufen und wird es wohl auch kaum – extern wäre das ohnehin nutzlos. Haftungsträchtig ist insbesondere auch „kundenfreundliches“ Verhalten in Form nicht puren Bestreitens der Leistungspflicht, sondern als Versuch, den VN, Geschädigten oder Dritten – mit präsentierter Sachkunde – davon auch zu überzeugen.

Ohne Versicherung besteht Gefahr für das Privatvermögen der Arbeitnehmer

Versichert sind AN – schon mangels Angeboten und Problembewusstsein – in aller Regel wegen ihrer Haftung nicht, außer im öffentlichen Dienst. Sofern überhaupt eine Haftpflichtpolice beim Arbeitgeber besteht und zudem der AN darin mitversichert wäre, wird der AN sich die Augen reiben, wenn der Haftpflicht- VR die Schadenzahlung beim Angestellten regressiert – etwa bei AN-Mitversicherung in der Makler-VSH oder Regulierer-VSH.

Und wenn der VR meint, dass das Verhalten des SSB ganz im Gegensatz zu allen Grundsätzen des VR steht, wird er die Übernahme des Schadens gegebenenfalls ganz ablehnen. Natürlich kann man als Geschädigter solcher Leistungsbearbeitung den AG gesamtschuldnerisch verklagen, neben dem AN und neben der vom Geschädigten beauftragten Werkstatt, Heilbehandler, Rechtsanwalt.

Nichtarbeitnehmer haften aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Expertenhaftung

Wie der BGH (am angegebenen Ort) klarstellt, tritt durch den Arbeitsvertrag nicht zusätzlich noch eine strengere Schutzwirkung zugunsten Geschädigter ein. Dies käme jedoch bei selbstständiger Tätigkeit als Schadenregulierer infrage.

Und wer tatsächlich ein Experte ist (zum Beispiel Finanzprofessor oder StB), gerät fahrlässig in die Expertenhaftung als Garant für seine eigenen (auch Werbe-)Aussagen (BGH, Urteil vom 17.11.2011, Az. III ZR 103/10).

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