Leistungsfreiheit des Versicherers bei Beginn des Versicherungsfalls vor Vertragsschluss

Male dentist comparing color of lady teeth with sampleMale dentist comparing color of lady teeth with sampleYakobchuk Olena – stock.adobe.com

Das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. hatte sich mit der rechtlichen Frage zu befassen gehabt, ob eine Akut- und Nachsorgebehandlung im Rahmen einer Parodontose Behandlung (Behandlung einer Erkrankung des Zahnfleischs) einen einheitlichen Versicherungsfall in der privaten Krankenversicherung bildet. Dabei hatte das Gericht auch die Frage nach der Beendigung des Versicherungsfalls zu klären.

Ein Beitrag von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Schutz und Informationstechnologierecht, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Die Versicherungsnehmerin, Klägerin, unterhält bei der beklagten Versicherung eine private Zahnzusatzversicherung, die sie zum 01. April 2012 neben einer bestehenden gesetzlichen Krankenversicherung abgeschlossen hatte, wobei eine Wartezeit von acht Monaten vereinbart wurde. Dem Versicherungsvertrag liegen die „X-Grundbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung als Ergänzung der gesetzlichen Krankenversicherung – Version 06.2006“ zugrunde.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen einer in 2015 durchgeführten Zahnersatzbehandlung (Oberkiefersanierung) Leistungen aus dieser privaten Zahnzusatzversicherung. Bereits im Mai 2013 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme. Seine Eintrittspflicht lehnte der Versicherer jedoch mit der Begründung ab, dass der Versicherungsfall bereits im Jahr 2004 eingetreten sei, als die Klägerin sich wegen Parodontose in Behandlung befand. Die Klägerin macht geltend, die damalige Behandlung sei 2005 ohne weiteren Behandlungsbedarf abgeschlossen worden.

Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ab. Hiergegen richtet sich nunmehr die Berufung der Klägerin.

Rechtliche Wertung des OLG Frankfurt a. M.

Die Berufung (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 27.10.2021 – 7 U 70/20) blieb ohne Erfolg. Die Versicherungsnehmerin hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für die Zahnbehandlung des Oberkiefers im Jahr 2015, da der streitgegenständliche Versicherungsfall bereits vor Vertragsbeginn eingetreten sei, so das OLG Frankfurt a. M. Nach § 1 Abs. 1 S. 2 AVB, der den MB/KK 2009 entspreche, beginne der Versicherungsfall mit der Heilbehandlung und ende, wenn nach medizinischem Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehe, so das Gericht.

Weiter führt das Oberlandesgericht aus, dass der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast für die Vorvertraglichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 AVB (MB/KK 2009) trage. Die Beweislast der Beklagten erstrecke sich dabei nicht nur darauf, darzulegen und zu beweisen, dass der Versicherungsfall vor Ablauf der Wartezeit eingetreten ist, sondern dieser müsse bereits vor dem technischen Versicherungsbeginn begonnen haben, so das OLG.

Kein Versicherungsschutz bestehe demnach hier für medizinisch notwendige Heilbehandlungen, mit denen bereits vor dem 01. April 2012 begonnen wurde, wobei die Behandlungsbedürftigkeit nicht bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes wieder entfallen sein dürfe. Für den Beginn der „Behandlung“ einer Krankheit stelle der Bundesgerichtshof auch bei einem schon bekannten Grundleiden auf die erste Inanspruchnahme jeglicher ärztlichen Tätigkeit ab, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Tätigkeit des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt.

Nach diesem rechtlichen Maßstab habe der Versicherer den erforderlichen Beweis erbracht. Denn aus den Behandlungsunterlagen aus dem Jahr 2004/2005 ergebe sich, dass eine behandlungsbedürftige Parodontose bereits 2004 behandelt worden sei. Das OLG Frankfurt a. M. konnte im Rahmen der Beweisaufnahme demnach feststellten, dass die Parodontose damals nicht ausgeheilt gewesen sei, sondern eine durchgängige Behandlungsbedürftigkeit fortbestanden habe. Die im Jahr 2015 durchgeführte Oberkiefersanierung sei danach eine direkte Folge der vorhandenen chronischen Parodontose und nicht als spontane Neuerkrankung anzusehen, meint das Oberlandesgericht. Dies habe die Sachverständige überzeugend bestätigt.

Beendigung des Versicherungsfalles

Zur Beendigung des Versicherungsfalles führte der Senat folgendes aus: Aus den Ausführungen der Sachverständigen ergebe sich, dass zumindest eine durchgängige begleitende Parodontose Therapie hätte durchgeführt werden müssen. Schon die gebotene röntgenologische Überwachung führe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem Zustand fortwährender Behandlungsbedürftigkeit innerhalb eines einheitlichen Versicherungsfalles.

Deren Unterlassen für einen längeren Zeitraum, auf das wegen der nicht erfolgten Dokumentation geschlossen werden muss, sei unabhängig von der Frage, ab wann ein weitergehender Eingriff geboten war, nach sachverständiger Feststellung medizinisch nicht vertretbar. Sofern ein Behandlungsabbruch jedoch medizinisch nicht vertretbar ist, sei der Versicherungsfall nicht beendet.

Nach der Auffassung des Senats reiche dabei die typischerweise gegebene Überwachungsbedürftigkeit des Zustands einer chronischen Erkrankung oder körperlicher Anomalien allein nicht aus, um jedwede Möglichkeit entfallen zu lassen, dass eine abgeschlossene Behandlungsphase auch zum Ende des Versicherungsfalles führt.

Zur Annahme des Fortbestehens des begonnenen Versicherungsfalls sei zumindest erforderlich, dass nach Abschluss der ersten Behandlungsphase aufgrund eines besonders schwer ausgeprägten konkreten Krankheitsbildes der Grunderkrankung besondere Umstände vorliegen, welche die Annahme einer Dauergefahr rechtfertigen, dass sich der Gesundheitszustand gegebenenfalls kurzfristig, jedenfalls aber auf absehbare Zeit in einen akut behandlungsbedürftigen verwandeln werde, sodass es medizinisch geboten ist, für den Patienten einen detaillierten Nachsorgeplan aufzustellen, weil die bisher vorgenommene Heilmaßnahme keine dauerhafte Heilung verspricht.

Ansonsten würde es an einer konkreten Verknüpfung zwischen den verschiedenen Behandlungsschritten fehlen, welche die Rechtfertigung für die Annahme eines einheitlichen Versicherungsfalles bilden, meint das OLG Frankfurt a. M.

Reine Routine- oder Vorsorgekontrollen eines nicht (mehr) kurativ behandlungsbedürftigen Zustands würde nach Auffassung des Gerichts ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, der die Klausel liest, der früheren Heilbehandlung nicht mehr zuordnen, sondern als neuen Versicherungsfall ansehen. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn zusätzlich eine Wartezeit vereinbart ist oder Gesundheitsfragen gestellt werden.

Solche Umstände, die eine engmaschige Nachsorgebehandlung erforderten, waren nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens aber vorliegend gegeben. Der Versicherungsfall sei im Ergebnis hier nicht beendet, so abschließend der Senat.

Fazit und Praxishinweis

Das Urteil des OLG Frankfurt a. M. kann im Ergebnis überzeugen. Die Ausführungen des Gerichts zum Versicherungsfall und dessen Beendigung sind rechtlich nicht zu beanstanden. Ein Augenmerk ist dabei darauf zu richten, dass die Entscheidung sich auf rein auf eine Zusatzversicherung als Ergänzung zu einer bestehenden gesetzlichen Krankenversicherung bezieht, in der insofern keine Wirksamkeitsbedenken hinsichtlich der Klausel bestünden. Im Rahmen der privaten Krankenversicherung werden hingegen bezüglich der Wirksamkeit in der Literatur erhebliche Bedenken aufgrund der durch die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG erfolgten Änderung des gesetzlichen Leitbildes geäußert.

Damit bleibt festzuhalten, dass es unabdingbar ist, jeden Versicherungsfall anwaltlich überprüfen zu lassen und frühzeitig eine kompetente Beratung durch versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, um eine spätere Leistungsablehnung im Rahmen der vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten bestenfalls zu vermeiden.

LESEN SIE AUCH

Friendly doctor sitting at her table and giving a medical consultation to a childFriendly doctor sitting at her table and giving a medical consultation to a childStudio Romantic – stock.adobe.com
Assekuranz

Assekurata-Marktausblick zur privaten Krankenversicherung 2023

Die private Krankenversicherung entwickelte sich auch im Geschäftsjahr 2022 sehr stabil. Die Prämieneinnahmen stiegen weiter. Zusammen mit den gleichzeitig gestiegenen Leistungsausgaben verbuchte die Branche jedoch einen Rückgang des versicherungsgeschäftlichen Ergebnisses.

Roter-Pfeil-Mauer-165897556-AS-Andrey-PopovRoter-Pfeil-Mauer-165897556-AS-Andrey-PopovAndrey Popov – stock.adobe.com
Assekuranz

PKV: Assekurata warnt vor hohen Beitragsanpassungen

Der Niedrigzins hat die private Krankenversicherung (PKV) auch 2021 fest im Griff und schlägt mit hohen Beitragsanpassungen in der Voll- und Pflegeversicherung durch. Der Wachstumsmotor Pflegezusatzversicherung scheint dadurch ins Stottern zu geraten – trotz oder gerade wegen der Diskussion um stark steigende Pflegekosten und der inzwischen beschlossenen Pflegereform.
shocked man holding some documents on sofa livingroomshocked man holding some documents on sofa livingroom
Assekuranz

22 Krankenkassen erhöhen mitten im Jahr den Beitrag

Seit Mai 2024 haben 22 Krankenkassen mitten im Jahr den Beitrag erhöht, 17 davon hatten schon zum Jahreswechsel mehr Geld verlangt. 7,6 Millionen GKV-Versicherte sind laut Finanztip davon betroffen. Musterrechnungen des Geld-Ratgebers zeigen, ein Durchschnittsverdiener spart durch einen Wechsel zu einer günstigen Krankenkasse oft mehr als 300 Euro im Jahr.

Würfel mit Pfielen und einer Gabelung symbolisieren die EntscheWürfel mit Pfielen und einer Gabelung symbolisieren die Entschefotogestoeber – stock.adobe.com
Assekuranz

Wettbewerbsverzerrung in der Krankenversicherung beenden

Angestellte in Deutschland müssen im Jahr 2025 deutlich mehr verdienen, um sich zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Privaten Krankenversicherung (PKV) entscheiden zu können. Die Versicherungspflichtgrenze soll auf 73.800 Euro steigen. Die massive Erhöhung greift in die Wahlfreiheit von Millionen Angestellten ein und verzerrt den gut funktionierenden Wettbewerb zwischen GKV und PKV stärker als bisher.

Female doctor prescribing medication for patient.Female doctor prescribing medication for patient.nenetus – stock.adobe.com
Assekuranz

PKV-Beiträge entwickeln sich langfristig günstiger

Der Beitrag für Angestellte oder Selbstständige, die 20 Jahre und länger privat krankenversichert sind, liegt 2023 im Schnitt etwa auf der Höhe von GKV-Versicherten mit mittlerem Einkommen. Ältere PKV-Versicherte zahlen im Durchschnitt nicht mehr als jüngere.

Stethoskop-Euro-7234486-DP-IvankmitStethoskop-Euro-7234486-DP-Ivankmit
Assekuranz

Nahezu analoge Beitragsentwicklung in GKV und PKV

Die Prämienbelastung je PKV- Versicherten stieg von 2004 bis 2024 durchschnittlich um 2,8 Prozent pro Jahr zu. Dieser Wert liegt unter dem Anstieg der Beitragsbelastung in der GKV von jährlich 3,2 Prozent. Im Zehnjahreszeitraum unterscheiden sich die Beitragssätze nur noch um 0,1 Prozentpunkte.