Nachhaltigkeit in der Versicherungs- und Finanzberatung

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Nachhaltigkeit ist und bleibt das große Thema für die Branche. Der 2. August sollte die Zeitenwende bringen. Wo stehen wir aber jetzt in Bezug auf die Vermittlerschaft?

Eine Positionsbestimmung von Norman Wirth, Rechtsanwalt Wirth–Rechtsanwälte Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

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Es ist erklärter gesetzgeberischer Wille, dass gigantische Geldströme in nachhaltige Investments umgeleitet werden. Dem zugrunde liegen unter anderem die von den Vereinten Nationen 2015 verabschiedeten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung – die Sustainable Development Goals, das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 und insbesondere der Aktionsplan der EU zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Hierbei geht es zwar auch, aber eben nicht nur um die Bekämpfung der Klimakrise: Die 17 UN-Ziele umfassen auch Themen wie Geschlechtergleichstellung, Bekämpfung der weltweiten Armut, Frieden oder auch hochwertige Bildung.

Um diese hehren Ziele umzusetzen, gibt es seitens des Gesetzgebers auch diverse neue Pflichten für die Vermittlerschaft. Für die Vermittlerschaft begann regulatorisch das Thema mit der EU-Transparenzverordnung, auch Offenlegungsverordnung genannt. Auch der englischen Abkürzung SFDR für Sustainable Finance Disclosure Regulation begegnen wir häufig. Diese Verordnung ist am 10.03.2021 in Kraft getreten.

Für Produktgeber hatte und hat sie erhebliche Auswirkungen in Bezug auf nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten. Für Finanzberater eher geringere.

Die beiden maßgeblichen Finanzberaterverbände Bundesverband Finanzdienstleistung AfW e. V. und VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V. haben praxisnah und leicht umsetzbar die konkreten Pflichten zusammengefasst, die aus der Transparenzverordnung erfüllt werden müssen. Diese Formulierungsempfehlungen und Erläuterungen, auch für die Beratungsdokumentation, sind unter anderem auf der Website des AfW zu finden.

Seit dem 02.08.2022 sind aufgrund der Delegierten Verordnungen 2021/1253 und 2021/1257 vom 21.04.2021 neue Beratungspflichten bei der Vermittlung von Kapitalanlagen und Versicherungsanlageprodukten in Kraft. Es müssen seitdem in der Beratung die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden ermittelt und entsprechend den Präferenzen auch die passenden Produkte empfohlen werden.

Wie hat konkret die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen auszusehen?

Dafür gibt es keinen einheitlichen Standard, der vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist. Auch eine brancheneinheitliche Lösung liegt, trotz erheblicher Bemühungen einiger, unter anderem auch sehr von mir, leider nicht vor. Das scheiterte insbesondere an zu vielen Partikularinteressen am Markt.

Leitlinien zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen bei Kunden wurden bisher unter anderem vorgelegt vom:

  • Forum Nachhaltige Geldanlagen e. V. (FNG)
  • Arbeitskreis Beratungsprozesse e. V.
  • DIN
  • Jeweils waren verschiedene Marktteilnehmer und Verbände mitbeteiligt, unter anderem beim Arbeitskreis und beim FNG der AfW, vertreten durch meine Person.

    Perspektivisch zu empfehlen sind sicherlich vor allem digitale Lösungen, bei denen die Präferenzen wenn möglich gleich mit einem ganzen Produktuniversum gematched werden. Hier gibt es auch schon sehr gute Ansätze und Lösungen. Ich erwarte mir im Laufe der kommenden Monate dabei einen deutlichen Schub.

    Denn aktuell gibt es noch erhebliche Probleme: Grundlage für die Produktempfehlung sollte die Beurteilung und Einordnung der Nachhaltigkeitsfaktoren und die diesbezügliche verpflichtende Berichterstattung für Unternehmen anhand von technischen Regulierungsstandards, RTS genannt, sein. Diese RTS sollten ursprünglich zum 01.01.2022 in Kraft treten. Zuletzt wurde aber das Inkrafttreten der RTS auf den 01.01.2023 verschoben.

    Durch diese Verschiebung lagen nun zum 02.08.2022 nicht die erforderlichen Grundlagen für eine rechtssichere Beurteilung und Einordnung der jeweils am Markt angebotenen Kapitalanlagen und Versicherungsanlageprodukte vor. Das führt zu der absurden Situation, dass die Finanzberater gesetzliche Pflichten auferlegt bekommen, die sie faktisch nicht erfüllen können – sie aber gleichzeitig gegenüber den Kunden haften lassen.

    Was passiert nun aber, wenn Vermittlerinnen und Vermittler das Thema gar nicht ansprechen oder die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden falsch bei der Produktauswahl berücksichtigt werden?

    Hier gilt es zu unterteilen zwischen gewerberechtlichen, wettbewerbsrechtlichen und zivilrechtlichen Folgen. Gewerberechtlich sind keine Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen. Allerdings können Wettbewerber abmahnen, wenn sie nachweisen können, dass die verpflichtende Präferenzabfrage nicht erfolgt. Auch zivilrechtlich ist eine Schadenersatzforderung des Kunden gegenüber dem Vermittler denkbar.

    Das erscheint derzeit allerdings recht theoretisch, denn dazu müsste ein konkreter finanzieller Schaden beim Kunden dadurch entstanden sein, dass seine Nachhaltigkeitspräferenzen nicht oder nicht richtig berücksichtigt wurden. Völlig auszuschließen wäre es aber nicht. Es bleibt dann aber noch die Gefahr des Rückabwicklungsbegehrens des Kunden. Wenn ein Kunde sagt: „Das Produkt entspricht nicht meinen Nachhaltigkeitspräferenzen. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich es gar nicht erworben. Und genau so will ich jetzt gestellt werden“, bestünde sicherlich ein echtes Problem.

    Oft werde ich gefragt, wie weit die Vermittlerschaft gehen muss, wenn Kunden keinerlei Interesse daran haben, das Thema Nachhaltigkeit bei der Produktauswahl zu berücksichtigen. Ein „Bekehren“ der Kunden ist natürlich nicht vorgesehen.

    Aber: Die Kunden sollten qualifiziert informiert werden können. Das heißt, Berater müssen Ahnung vom Thema haben, qualifiziert sein und Fragen beantworten können. Und sollte ein Kunde die Nachhaltigkeits-Eingangsfrage mit „Nein“ beantworten, darf das Thema nicht sofort beendet sein. Bei einem ersten „Nein“ wird erwartet, dass der Berater nachhakt, ob der Kunde wirklich weiß, was Nachhaltigkeit bedeutet. ESG ist ja viel mehr als Klimaschutz oder das Wahlprogramm der Grünen.

    Ein heißes Eisen ist die Frage, inwieweit Vermittler auch von ihren Bestandskunden die Nachhaltigkeitspräferenzen erheben müssen, wenn es also um Produkte geht, die vor dem 02.08.2022 vermittelt wurden. Das ist eine von vielen Detailfragen, die man noch gut diskutieren kann. Die europäischen Aufsichtsbehörden EIOPA (Versicherungen) und ESMA (Investment) stellen dazu Leitlinien zur Verfügung.

    Leitlinie 3 der EIOPA besagt, dass Versicherer und Vermittler auch bei Bestandskunden eine nachträgliche Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen vornehmen sollen. Dafür soll die nächste regelmäßige Aktualisierung der Geeignetheitsbewertung genutzt werden.

    Da aber diese in der Praxis sehr häufig weder vorgesehen noch vereinbart ist, dürfte dieser Ansatz ins Leere laufen. Zudem erscheint es mehr als problematisch, bereits länger laufende Verträge infrage zu stellen, nur weil sich jetzt herausstellt, dass diese den aktuellen Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden nicht entsprechen. Im Kundeninteresse dürfte das in der Regel nicht sein. Hier befinden sich Vermittlerinnen und Vermittler auf ganz dünnem Eis.

    Was ist mit den Vermittlern mit Zulassung nach § 34f Gewerbeordnung? Wann treten diese Pflichten zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden nun auch für sie in Kraft?

    Obwohl wir hier über einen extrem ärgerlichen und eigentlich leicht zu behebenden Zustand sprechen, wird es noch etwas dauern. Seit dem 2. August gelten die neuen Pflichten ja für Banker, Vermögensverwalter, Vermittler unter einem Haftungsdach, Versicherungsvermittler – nur nicht für die 34fler. Warum? Pfusch des Gesetzgebers.

    Nach aktuellem Stand gibt es für alle §34f-ler keine Verpflichtung, die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden zu ermitteln. Das stellten – zur Überraschung der ganzen Branche – leider sehr kurzfristig vor dem 2. August die BaFin und dann das Wirtschaftsministerium klar.

    Begründet wurde dies damit, dass es sich bei dem Verweis in § 16 Finanzanlagenvermittlungsverordnung (Fin-VermV) auf Artikel 54 der Delegierten Verordnung der EU um einen starren Verweis handeln soll, der nicht auf die jeweils gültige Verordnung verweist, sondern auf die Verordnung zum Zeitpunkt der Verabschiedung der FinVermV.

    Aktuell ist ein Entwurf für die Änderung der FinVermV in der öffentlichen Konsultation, damit auch die entsprechende gesetzliche Pflicht für alle 34f-Zulassungsinhaber irgendwann bestehen wird. Voraussichtlich am 10.02.2023 wird sich das Bundesratsplenum damit befassen und die notwendige Änderung auf den Weg bringen, sodass eventuell ab März 2023 diese Lücke geschlossen ist.

    Fazit

    Der Gesetzgeber macht es allen Beteiligten nicht leicht, die an sich hehren Ziele praxisnah umzusetzen. Das Thema bleibt uns aber dauerhaft erhalten und es hilft sicherlich sehr, es weniger als Belastung und mehr als Chance zu sehen. Chance für Umsatz, aber auch – und jetzt wird es in einem juristischen Artikel einmal richtig pathetisch – für unseren Planeten und die Menschheit.

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