Revisionen im Musterfeststellungsverfahren zu Prämiensparverträgen

Ordner-222185794-AS-SonjaOrdner-222185794-AS-SonjaSonja – stock.adobe.com

Der unter anderem für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 24. Januar 2023 erneut über Revisionen des Musterklägers, eines Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen ein Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts Dresden über die Wirksamkeit von Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden.

Die beklagte Sparkasse schloss seit Anfang der 1990er-Jahre mit Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50 Prozent der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es unter anderem:

"Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …Prozent p.a. verzinst."

oder

"Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z.Zt. ...Prozent, am Ende eines Kalender-/Sparjahres … ."

In den in die Sparverträge einbezogenen "Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter:

"Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist."

Ziele der Musterfeststellungsklage

Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben Feststellungsziele:

Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vorzunehmen.

Darüber hinaus möchte er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und dass die widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist.

Das Oberlandesgericht hat der Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und die Vornahme der Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat seine - nach Erlass des hier angefochtenen Musterfeststellungsurteils des Oberlandesgerichts – mit Urteil vom 6. Oktober 2021 (XI ZR 234/20) ergangene Rechtsprechung in dem am 24. Januar 2023 verkündeten Urteil bestätigt.

Dementsprechend hat er auf die Revision des Musterklägers das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat. Insoweit hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Darüber hinaus hat er entschieden, dass die Zinsanpassungen von der Musterbeklagten unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind.

Das Oberlandesgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Solche Individualvereinbarungen sind nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren aus.

Da das Oberlandesgericht - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen zu einem geeigneten Referenzzinssatz getroffen hat, wird es dies nach Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben.

Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge ist es interessengerecht, als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen einen Zinssatz oder eine Umlaufrendite mit langer Fristigkeit heranzuziehen. Bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes wird das Oberlandesgericht außerdem zu berücksichtigen haben, dass es sich bei den Sparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt.

Nach der vom Senat vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung ist bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten. Nur eine solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen ungünstig bleiben.

Dass sich die absolute Zinsmarge der Musterbeklagten bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall eines Anstiegs des Referenzzinssatzes erhöht und im Fall eines Absinkens des Referenzzinssatzes reduziert, verstößt nicht gegen die Grundsätze des Preisanpassungsrechts, weil die Musterbeklagte keinen Einfluss auf die Höhe der Zinsanpassungen hat.

Das Oberlandesgericht wird erneut über die in einem Eventualverhältnis stehenden Anträge des Musterklägers betreffend den Referenzzinssatz zu entscheiden und dabei mit sachverständiger Hilfe im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Referenzzinssatz zu bestimmen haben.

Dabei wird es zu bedenken haben, dass zur Verfahrensbeschleunigung gemäß § 411a ZPO ein bereits erstelltes Sachverständigengutachten dann verwertet werden kann, wenn es in einem anderen Gerichtsverfahren eingeholt worden ist.

Vorinstanz

OLG Dresden - Musterfeststellungsurteil vom 31. März 2021 - 5 MK 2/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 411a ZPO

Die schriftliche Begutachtung kann durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.

§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO

(1) Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil bindet das zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Beklagten berufene Gericht, soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft.

...

LESEN SIE AUCH

Euromuenzen-Stapel-kippen_200680553-AS-peterschreibermediaEuromuenzen-Stapel-kippen_200680553-AS-peterschreibermediapeterschreiber.media – stock.adobe.com
Finanzen

Saalesparkasse muss Zinsen neu berechnen

Gute Nachrichten für Sparkassenkund*innen aus der Region Halle: Das Oberlandesgericht Naumburg hat in einer mündlichen Verhandlung am 17. November 2021 erklärt, dass die Saalesparkasse Zinsen aus Prämiensparverträgen falsch berechnet hat. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) reichte im vergangenem Jahr eine Musterfeststellungsklage ein. An dieser haben sich mehr als 800 Verbraucher*innen beteiligt, die auf eine Nachzahlung hoffen können. Henning Fischer, Referent beim vzbv, erläutert: ...
Symbolbild - Gerichtsstreit mit Paragraph SymbolSymbolbild - Gerichtsstreit mit Paragraph Symbolfotomowo – stock.adobe.com
Finanzen

vzbv: Klage gegen Sparkassen wegen Bankgebühren

Die Sparkasse KölnBonn und die Berliner Sparkasse weisen Erstattungsforderungen für die von ihnen zu Unrecht erhobenen Gebühren zurück. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) plant, mit Musterfeststellungsklagen gegen diese Praxis vorzugehen und Verbraucher*innen so zu ihrem zu Recht verhelfen.
Gespraech-Waage-Vertrag-310976337-AS-snowing12Gespraech-Waage-Vertrag-310976337-AS-snowing12snowing12 – stock.adobe.com
Finanzen

Prämiensparverträge: BGH fällt Urteil zugunsten der Verbraucher

Der u.a. für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit seinem Urteil vom 6. Oktober 2021 über die Revisionen des Musterklägers, eines Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 22. April 2020 über die Wirksamkeit von Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden.
Lady Justice StatueLady Justice StatueAA+W – stock.adobe.com
Finanzen

Gebührenrückzahlung: vzbv verklagt Sparkassen

Die Berliner Sparkasse und die Sparkasse KölnBonn weisen Erstattungsforderungen für einseitig erhöhte Entgelte bislang zurück. Um Verbraucher*innen zu ihrem Recht zu verhelfen, reicht der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) zwei Musterfeststellungsklagen beim Kammergericht Berlin und beim Oberlandesgericht Hamm ein.
Anzugtraeger-Lupe-41512956-AS-Robert-KneschkeAnzugtraeger-Lupe-41512956-AS-Robert-KneschkeRobert Kneschke – stock.adobe.com
Finanzen

BaFin: Verbraucher sollen Prämiensparverträge prüfen

Da viele ältere Prämiensparverträge noch Zinsanpassungsklauseln enthalten, mit denen Kreditinstitute die zugesicherte Verzinsung einseitig abändern könnten, empfiehlt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Verbrauchern, ihre Prämiensparverträge sorgfältig zu überprüfen. Die
Stack Of Increasing Coins On Gavel At WorkplaceStack Of Increasing Coins On Gavel At WorkplaceAndrey Popov – stock.adobe.com
Recht

BGH schafft Klarheit für Zinsanpassung bei Prämiensparverträgen

Der Bundesgerichtshof hat erstmals einen Referenzzinssatz für die Nachberechnung von Zinsen bei langfristigen Prämiensparverträgen mit einer unwirksamen Zinsanpassungsklausel festgelegt: als Referenzzins sollen die Umlaufrenditen börsennotierter Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von 8 bis 15 Jahren herangezogen werden.