Kann Automatisierung den Fachkräftemangel im Versicherungswesen ausgleichen?

Abstract technology background. Technology concept. Gear wheel. Big Data concept. 3d illustration. 3d rendering.Abstract technology background. Technology concept. Gear wheel. Big Data concept. 3d illustration. 3d rendering.Dmitry – stock.adobe.com

Auf dem heutigen hart umkämpften Arbeitsmarkt wird es für die Versicherer immer schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Die kombinierten Kräfte der „großen Resignation“, bei der Arbeitnehmer ihre Prioritäten neu bewerten, und der „großen Pensionierung“, bei der qualifizierte ältere Arbeitnehmer aus dem Berufsleben ausscheiden, haben zu einem historischen Arbeitskräftemangel geführt. Als wissensintensiver Bereich, der auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte für komplexe Arbeitsabläufe angewiesen ist, steht das Versicherungswesen am Rande einer ernsthaften Krise.

Ein Beitrag von Marie-Pierre Garnier, Autorin und VP Marketing & Communications Cortical.io AG

Wenn es den Versicherern nicht gelingt, den Fachkräftemangel zu beheben, besteht die Gefahr, dass sie in Bezug auf die operative Exzellenz hinter ihre Konkurrenten zurückfallen und Umsatzwachstum und Marktanteile einbüßen. Die Versicherer fragen sich daher, woher die nächste Generation talentierter Mitarbeiter kommen soll. Wie werden sie in der Lage sein, die benötigten Talente zu rekrutieren oder auszubilden? Und welche Rolle kann die Automatisierung in diesem Zusammenhang spielen?

Mind the Gap! Versicherer leiden schon unter Talentmangel

Marie-Pierre-Garnier-2023-Cortical-ioMarie-Pierre-Garnier-2023-Cortical-ioCortical.io AG

Laut einer Umfrage von Gartner ist der Mangel an Fachkräften der wichtigste Trend, der sich auf Unternehmen auswirken wird. 48 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass sie sich in den nächsten Monaten große Sorgen um die Fluktuation machen. Dabei geht es um weit mehr als nur um eine Talentlücke von „Nice to have“-Fähigkeiten. Die Fluktuation von Mitarbeitern, die für kritische Arbeitsabläufe benötigt werden, stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Geschäftskontinuität dar.

Denn das Problem betrifft alle Berufsfelder, angefangen vom Kundendienstmitarbeiter bis zum Versicherungsmathematiker. Eine Studie der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) zeigt, dass schon heute 2.000 bis 3.000 Versicherungsmathematiker in Deutschland fehlen, und das, obwohl der Bedarf steigt. Insbesondere um IT-Fachkräfte und Software-Designer buhlen die Versicherer. Auch das verstaubte Image der Branche hilft nicht gerade, jüngere Bewerber, die dynamische, moderne Arbeitsumfelder bevorzugen, anzuziehen.

Dieser Fachkräftemangel ist ein Problem für Versicherer, die auf qualifizierte Mitarbeiter angewiesen sind, um komplexe, datenintensive Prozesse wie Underwriting und Schadenmanagement zu verwalten. Da erfahrene Mitarbeiter in den Ruhestand gehen und jüngere Generationen sich für Karrieremöglichkeiten entscheiden, die als „aufregender“ wahrgenommen werden, haben die Unternehmen Schwierigkeiten, qualifizierten Ersatz zu finden. Die bevorstehende Pensionswelle – bis 2036 wird jeder dritte Erwerbstätige in Deutschland das Renteneintrittsalter überschritten haben – wird den Personalmangel auch noch verschärfen.

Löst die Einstellung von Mitarbeitern das Problem des Arbeitskräftemangels?

Auch wenn die Einstellung von Mitarbeitern als offensichtliche Lösung für den Mangel an Talenten erscheinen mag, ist sie auf lange Sicht nicht nachhaltig.

Es gibt viele Gründe, warum der Arbeitskräftemangel nicht allein durch Neueinstellungen behoben werden kann. Erstens ist es schwer, Talente zu finden und für sich zu gewinnen, vor allem in einem wettbewerbsintensiven Markt. Selbst wenn der Rekrutierungsprozess erfolgreich ist, dauert es eine Weile, bis die Mitarbeiter vollständig integriert sind und einen Mehrwert für das Unternehmen schaffen. Die Personalabteilung kann leere Stellen einfach nicht schnell genug wieder besetzen.

Die Steigerung der Arbeitskosten ist eine unmittelbare Konsequenz der allgemeinen Personalknappheit, da die Unternehmen höhere Gehälter und bessere Leistungen anbieten, um den Mangel an einheimischen Arbeitskräften zu bekämpfen. So rechnen laut einem DIHK-Report fast sechs von zehn Unternehmen mit steigenden Arbeitskosten, um neue Fachkräfte zu gewinnen oder ihr Personal halten zu können. Es wird erwartet, dass die Arbeitskosten aufgrund der Inflation noch weiter steigen werden, was den Druck auf die Versicherer, ihre Effizienz und Produktivität zu verbessern, noch erhöht.

Anstatt einfach nur zu versuchen, mehr Arbeitskräfte einzustellen, müssen die Versicherer erhebliche strategische Veränderungen vornehmen, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu verbessern und Investitionen in Technologie zu nutzen, um die Lücken in der Belegschaft zu schließen.

Wie die Automatisierung die menschliche Arbeitskraft ergänzen kann

Die Automatisierung kann dazu beitragen, den Fachkräftemangel in der Versicherungsbranche zu beheben, indem sie Prozesse optimiert, die Effizienz steigert und mühsame manuelle Aufgaben eliminiert.

Nehmen wir einmal an, dass ältere Fachleute aus dem Ruhestand geholt werden müssen, um Tausende von Policen manuell zu prüfen. Die Versicherer können einfach keinen Ersatz für sie finden, da die Millennials und die Generation Z nach spannenderen, erfüllenderen Aufgaben suchen. Die routinemäßige Überprüfung von Policen könnte jedoch mithilfe von NLU-Technologien (Natural Language Understanding) leicht automatisiert werden, sodass sich die Fachleute auf komplexere und differenziertere Fragen konzentrieren können.

Auch das Schadenmanagement und das Underwriting sind traditionell zeitaufwendige Prozesse, die stark von menschlichem Fachwissen abhängen. Intelligente Dokumentenverarbeitungslösungen (IDP) wie SemanticPro von Cortical.io können jedoch dazu beitragen, die Arbeitsbelastung von Schadenregulierern und Underwritern zu verringern, indem sie lange, komplexe Dokumente „lesen“, Daten interpretieren, Muster erkennen und bei der Entscheidungsfindung helfen. Ein Fortune-500-Versicherer konnte durch die Automatisierung seines Angebotsprozesses eine Reduktion der manuellen Arbeit um 30 Prozent erzielen.

Die Automatisierung hat außerdem das Potenzial, die Arbeit für jüngere Mitarbeiter in der Versicherungsbranche angenehmer zu gestalten. Durch die Verlagerung von alltäglichen Aufgaben auf Maschinen können die Mitarbeiter sinnvollere Arbeiten verrichten, was wiederum ihre Arbeitszufriedenheit und Motivation erhöht. In einem dynamischeren und ansprechenderen Arbeitsumfeld, in dem die Arbeitnehmer Zeit haben, neue Fähigkeiten zu entwickeln und sich auf hochwertige Arbeit zu konzentrieren, sind sie besser gerüstet, um neue Herausforderungen zu meistern, und fühlen sich stärker in ihre Aufgaben eingebunden.

Darüber hinaus spielt die Automatisierung eine Schlüsselrolle beim Wissenstransfer und -management. Erfahrung und Fachwissen lassen sich nicht so einfach weitergeben, wenn Mitarbeiter in den Ruhestand gehen oder eine neue Stelle antreten. Eine IDP-Lösung, die auf die Terminologie und Prozesse Ihres Unternehmens geschult ist, erleichtert die Einarbeitung neuer Mitarbeiter.

Versicherer müssen jetzt handeln, um den Talentmangel zu lindern

Die Versicherungsbranche sieht sich einem perfekten Sturm aus demografischen Veränderungen, technologischen Fortschritten und sich ändernden Verbraucherwünschen gegenüber, der einen erheblichen Druck auf ihre Arbeitskräfte ausübt. Wenn die Unternehmen nicht sofort Maßnahmen ergreifen, um diesen Mangel zu entschärfen, laufen sie Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten und ihren Wettbewerbsvorteil zu verlieren.

Die Automatisierung hat das Potenzial, dem Talentmangel entgegenzuwirken, indem sie die Effizienz steigert und die Erfahrung der Mitarbeiter verbessert. Doch ganz gleich, ob sich Versicherer für die Einstellung und Schulung von Personal, den Einsatz von Automatisierungstechnologie oder eine Kombination aus beidem entscheiden, diese Veränderungen erfordern Zeit und Ressourcen. Daher ist es jetzt an der Zeit zu handeln, und Versicherer, die dem Talentmanagement Priorität einräumen, werden in den kommenden Jahren besser aufgestellt sein.

Über die Autorin

Marie-Pierre Garnier verfolgt die Märkte für künstliche Intelligenz und natürliche Sprachverarbeitung seit mehr als zehn Jahren. Sie interessiert sich besonders für die Nachhaltigkeitsaspekte von Unternehmenssoftwarelösungen und hat mehrere Artikel zu diesem Thema verfasst.

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