Halbzeit für die Ampel – Nachhaltige Digitalpolitik muss jetzt Fahrt aufnehmen

Reichstag in BerlinReichstag in Berlin

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Das Bündnis Bits & Bäume kritisiert zur Halbzeit der Legislatur eine bislang enttäuschende Umsetzung der Digitalpolitik der Bundesregierung. Daher fordert es gemeinsam mit 20 Akteuren aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Open-Source-Wirtschaft: Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Bundestag müssen jetzt dringend ihre digitalpolitischen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen und dafür im Haushalt 2024 ausreichend Mittel bereitstellen. Zudem muss die Zivilgesellschaft stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Das Bündnis weist darauf hin, dass es in dieser Legislatur noch ein kurzes Zeitfenster dafür gibt, Deutschland auf einen nachhaltigen, inklusiven digitalpolitischen Kurs zu lenken und fordert die Bundesregierung auf, diese Chance nicht zu vertun.

Die Bundesregierung ist vor zwei Jahren mit einem vielfach gelobten digitalpolitischen Programm angetreten, das einen Kurswechsel und eine erfolgreichere, nachhaltige, inklusive Digitalisierung versprach. Zur Hälfte der Wahlperiode lässt dies weiter auf sich warten, kritisiert das Bündnis. Die Ampel hat bisher nur wenige Projekte angestoßen und plant, diese im Haushalt für das kommende Jahr sogar zusammenzusparen. Ohne Kurswechsel droht am Ende der Legislatur ein digitalpolitisches Scheitern und ein langfristiger Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft, warnen die Organisationen aus Umwelt- und Naturschutz, Digitalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft.

Strukturelle Einbindung der Zivilgesellschaft nötig

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Zivilgesellschaft besser in digitalpolitische Vorhaben einzubinden und sie zu unterstützen. „Vielfältige zivilgesellschaftliche Perspektiven sind essenziell, um Digitalisierung demokratisch und nachhaltig zu gestalten. Eine Entwicklung in diese Richtung ist punktuell erkennbar, jedoch fehlt es nach wie vor an struktureller Einbindung und Mitgestaltung. Weder bei der Digitalstrategie noch beim Digital-Gipfel im vergangenen Jahr wurde die Zivilgesellschaft nennenswert miteinbezogen“, stellt Lilli Iliev, Leiterin Politik & öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland, fest. „Für die Verbändeanhörung zur Reform des BND-Gesetzes betrug die Frist zur Stellungnahme 24 Stunden und 30 Minuten bei 88 Seiten Entwurf. Das ist leider keine Ausnahme und muss sich ändern“, bemängelt Rainer Rehak, Ko-Vorsitzender des FIfF. Bei digitalpolitischen Vorhaben sollten zivilgesellschaftliche Organisationen bereits umfassend an der Konzeption beteiligt werden. Echte Mitgestaltung muss ermöglicht werden, indem Abläufe politischer Entscheidungsprozesse transparent gemacht werden und ausreichende Fristen für Konsultationen gesetzt werden. „Die Umsetzung des geplanten Bundestransparenzgesetzes ist in diesem Zusammenhang essenziell, denn es macht das Handeln von Behörden und anderen staatlichen Einrichtungen nachvollziehbar und ermöglicht die wirksame Kontrolle der Exekutive“, führt Iliev aus. „Langfristig ist eine echte Beteiligung jedoch nur durch Demokratisierung der digitalen Infrastruktur möglich”, schlussfolgert Rehak.

Energie- und ressourcenschonende Gestaltung digitaler Infrastruktur vorantreiben

Für die Digitalisierung sind Rechenzentren unerlässlich. Sie sind derzeit für rund drei Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland verantwortlich – die Tendenz ist stark steigend. Mit dem Energieeffizienzgesetz soll nun erstmals der stromintensive Betrieb von Rechenzentren sowie die Nutzung der Abwärme reguliert werden. Johanna Graf, Referentin Digitalisierung und Klimaschutz bei Germanwatch, erklärt: „Die Initiative der Bundesregierung ist positiv. Jedoch enttäuscht der aktuelle Gesetzesentwurf und bleibt weit hinter der im Koalitionsvertrag versprochenen Ausrichtung von Rechenzentren auf ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz zurück. Lediglich die allergrößten Rechenzentren sind durch das Gesetz betroffen und die Auflagen zur Abwärmenutzung wenig ambitioniert. Neben Verbesserungen in der Energieeffizienz muss auch die ressourcenschonende Gestaltung von Rechenzentren vorangetrieben werden. Eine höhere Auslastung von Rechenzentren führt zum Beispiel dazu, dass von Beginn an weniger Hardware benötigt wird.“

„Wir müssen generell dafür sorgen, dass unsere Digitalisierung weniger Ressourcen frisst. In der aktuell diskutierten Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie fordern wir deshalb ambitionierte Instrumente zur Förderung von Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Wiederverwendung von Informations- und Kommunikationstechnologie“, ergänzt Friederike Hildebrandt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Digitalisierung beim BUND. „Damit diese Instrumente ihre volle Wirkung entfalten können und dazu beitragen, dass der Ressourcenverbrauch sinkt, braucht es eine verbindliche Governance-Struktur in Form eines Ressourcenschutzgesetzes.“

Forschung zu systemischen Herausforderungen für nachhaltige Digitalisierung stärken

„Die Zukunftsstrategie des Bundesforschungsministeriums ist ein wichtiger Schritt, um Forschung und Innovation zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu stärken“, erklärt Florian Kern, Forschungsfeldleiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). „Jetzt muss es darum gehen, die forschungspolitischen Ambitionen auch mit inter- und transdisziplinären Programmen zu hinterlegen und stärker auf systemische Herausforderungen zu lenken.“ Die Forschungsförderung zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit fokussiere sich aktuell stark auf Effizienzpotenziale und digitale Lösungen zur Senkung des Ressourcenverbrauchs. Das sei wichtig aber unzureichend, so der Nachhaltigkeitsforscher, denn Wechselwirkungen zwischen sozialen, technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten der Digitalisierung blieben dabei unterbelichtet.

An der Halbzeitkritik der Bundesregierung haben sich 21 Akteure aus der digitalpolitischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft beteiligt. Eine Übersicht aller Organisationen findet sich auf der Webseite der Free Software Foundation Europe.

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