Superwahljahr 2024: Was es für Investoren bedeutet

Man putting his vote into ballot box on black background, closeuMan putting his vote into ballot box on black background, closeu

Photo credit: depositphotos.com

Umgerechnet auf das Welt-BIP werden in diesem Jahr die Vertreter von rund 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung an die Wahlurnen gerufen. Was das Superwahljahr für Wirtschaft und Investoren bedeuten könnte und in welchen Sektoren besonders mit Unsicherheiten zu rechnen sind.

Ein Kommentar von Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer bei Neuberger Berman

Niall-O'Sullivan-2024-Neuberger-BermanNiall-O'Sullivan-2024-Neuberger-BermanNeuberger Berman

Die diesjährigen Wähler repräsentieren etwa die Hälfte des Welt-BIP: Bangladesch und Taiwan machten den Anfang. Die USA, Großbritannien und Ägypten schließen das Superwahljahr ab. Dazwischen liegen Wahlen in Indien, der weltweit größten Demokratie, in Pakistan sowie in Südafrika, wo die seit Langem regierende Partei in einer schleichenden Krise steckt, und in Mexiko mit seinen komplexen Beziehungen zum Nachbarn im Norden. Gewählt wird zudem im Iran, das jetzt im Mittelpunkt der Spannungen im Nahen Osten steht, in Südkorea, der ewigen Front des „neuen alten“ Kalten Krieges, und im Europäischen Parlament, wo die Rechtspopulisten voraussichtlich viele Stimmen hinzugewinnen werden. Sogar in Russland und der Ukraine finden Wahlen statt.

Schon die Länge dieser Liste deutet darauf hin, dass Wahlen heute mehr Einfluss auf die Wirtschaft und die Märkte haben könnten als noch vor 20 oder 30 Jahren. Aus der unipolaren Welt der 1990er-Jahre ist eine mit vielen unterschiedlichen Fronten geworden.

Darüber hinaus sind wesentliche und einstmals disinflationäre Kräfte wie der technologische Fortschritt, die demografische Entwicklung, der Welthandel und die Energieerzeugung zunehmend zu politischen Brennpunkten geworden, die wichtige Grundsatzfragen aufwerfen: Wie stark sollten wir die Macht großer Technologieunternehmen eindämmen? Wie bringen wir die wirtschaftlichen Anforderungen von Alt und Jung unter einen Hut? Wie viel Protektionismus und Sicherheit brauchen wir in unseren Lieferketten? Wie schnell können wir unsere Volkswirtschaften dekarbonisieren? Es scheint, dass zumindest bei den letzten drei Themen der Druck steigt.

Was uns vergangene Wahlen verraten

Bislang war die Marktdynamik für die Wertentwicklung an den Märkten wichtiger als Wahlergebnisse. Dennoch gibt es einige Muster, die sich aus vergangenen Urnengängen ableiten lassen. So hat etwa der US-Aktienmarkt seit den 1940ern immer positiv reagiert, wenn die Republikaner sowohl die Präsidentschaft als auch die Mehrheit im Kongress gewonnen haben.

Wenn sie nur den Präsidenten stellten, sind die Aktien gefallen. Investoren haben es offenbar lieber, wenn ein demokratischer Präsident mit einem gespaltenen oder von der Gegenpartei dominierten Kongress regieren muss, als wenn in einem solchen Fall die Republikaner das höchste Amt im Staat besetzen.

Zudem waren US-Aktien in US-Wahljahren meist etwas schwächer als im langfristigen Durchschnitt. Diversifikation und defensive Positionierung haben sich in der Regel ausgezahlt. Insgesamt scheint es Investoren nicht so wichtig zu sein, wer die Wahl gewinnt, aber sie mögen keine Unsicherheit und versuchen, ihr aus dem Weg zu gehen. Vor allem nach besonders schwer prognostizierbaren Wahlen folgt üblicherweise eine gute Aktienmarktperformance, weil dann die Unsicherheit ein Ende hat. Dies könnte vor allem gegen Ende des Jahres relevant werden.

Auswirkungen in einzelnen Sektoren spürbar

Oft war es sinnvoller, die Auswirkungen von Wahlen auf einzelne Sektoren und nicht auf die Gesamtwirtschaft zu betrachten. Schließlich gibt es innerhalb des Marktes immer Performanceunterschiede, unabhängig davon, ob er insgesamt steigt oder fällt. Beispielsweise haben Investoren, die bei den US-Wahlen 2016 einen Sieg Clintons erwartet hatten, nach dem Sieg von Trump massenweise Small Caps und Finanzaktien gekauft. Sie gingen offenbar davon aus, dass unter der „America-First-Administration“ schnell Regulierungen aufgehoben, Steuern gesenkt und viel investiert werden würde.

Etwas Ähnliches könnte auch diesmal passieren. Wenn die Republikaner die Gelegenheit bekommen, Regulierungen und Gebührenkontrollen zu lockern, dürften Small Caps etwas aufholen. Auch regionale Banken und Finanzdienstleister für Privatkunden dürften dann profitieren. Elektrofahrzeuge und andere Sektoren, die vom IRA profitiert haben, könnten hingegen unter einer erneuten Trump-Administration leiden; und das, obwohl ein großer Teil der Mittel aus dem IRA-Programm in republikanische oder Swing-Staaten fließt.

Anders als bei vielen Wahlen zuvor unterliegt auch der Verteidigungssektor diesmal gewissen Wahlrisiken, etwa weil mit einem Sieg Trumps die Unterstützung für die Ukraine deutlich heruntergefahren werden dürfte.

Kurz gesagt, zeigt die Vergangenheit, dass die meisten Investoren dauerhaft wohl kaum Auswirkungen der Wahlen auf ihre Portfolios erleben dürften. Viele der extremeren Verschwörungstheorien über Stimmenkäufe und politisierte Zentralbanken lassen sich ignorieren. Dennoch dürften die Wahlen auf Sektor- und Staatenebene deutlich Spuren hinterlassen. Chancen ergeben sich vor allem, wenn sich bestehende Unsicherheiten vor den Wahlen auflösen – dann sollten Investoren für den „Run“ gewappnet sein.

LESEN SIE AUCH

Wind EnergyWind Energylassedesignen – stock.adobe.com
Finanzen

Worauf Investoren beim Übergang zu sauberer Energie achten sollten

Ein Paradigmenwechsel in der Energieproduktion muss her, wenn das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreicht werden soll. Denn rund 80 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entfallen auf den Energiesektor. Investoren werden das Tempo und die Richtung des Wechsels entscheidend prägen.

Businessman carrying red arrow sign climbing on stairsBusinessman carrying red arrow sign climbing on stairsTSUNG-LIN WU – stock.adobe.com
Finanzen

Investieren in Zeiten der Inflation

Anhaltende Inflation, Energie- und Klimakrisen und Kriege können ein volatiles Umfeld schaffen. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, ein gut diversifiziertes Portfolio über verschiedene Anlageklassen hinweg zu halten. Eine Analyse, wie Märkte historisch auf Inflationen reagiert haben, kann die Investmententscheidung unterstützen.

Communication technology for internet business Cyber. Global plaCommunication technology for internet business Cyber. Global plaYellow Boat – stock.adobe.com
Assekuranz

Schifffahrtsstudie: Totalverluste sinken, neue Risiken am Horizont

2022 gingen weltweit 38 große Schiffe verloren – ein Rückgang von über einem Drittel und ein historischer Tiefstand. Brände hingegen erreichten als Hauptursache für Totalverluste einen neuen Höchststand. Auf welche Herausforderungen sich der Sektor in den kommenden 12 Monaten einstellen muss.

Businessman choosing his business directionBusinessman choosing his business directionSergey Nivens – stock.adobe.com
Wirtschaft

Konjunktur zwischen Stagflation und Rezession

Stark steigende Lebenshaltungskosten und Energiepreise dämpfen die Konjunktur, die durch den Nachholbedarf an Dienstleistungen zustande kam. Bis zum Frühjahr 2023 wird ein leicht negatives Wachstum erwartet, das erst ab Frühjahr 2023 in einem moderaten Wachstumspfad mündet.

Business man quit jobBusiness man quit jobPeera – stock.adobe.com

Ukraine-Konflikt führt zu steigenden Insolvenzen

Der Welthandel und die Weltwirtschaft erhalten durch den Ukraine-Konflikt einen erheblichen Dämpfer und Insolvenzen steigen, insbesondere in Europa. Der weltweit führende Kreditversicherer Euler Hermes rechnet in seiner aktuellen Studie nur noch mit einem Wachstum des Welthandelsvolumens um +4 Prozent für 2022 und damit mit konfliktbedingten Einbußen um mindestens zwei Prozentpunkten (pp).
Anzugtraeger-Aktienkurs-73682375-AS-SFIO-CRACHOAnzugtraeger-Aktienkurs-73682375-AS-SFIO-CRACHOSFIO CRACHO – stock.adobe.com
Finanzen

3 Megatrends, die den Aktienmarkt verändern

Die drei Megatrends demografischer Wandel, Zukunftstechnologie und Ressourcenknappheit werden die Marktdynamik in verschiedenen Segmenten über einen Zeitrahmen von mehreren Jahrzehnten bestimmen. Eine Bestandsaufnahme.