„In diesem Umfeld kommt es auch auf Schnelligkeit an, um als First Mover der Konkurrenz voraus zu sein.“

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Die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) revolutioniert gerade zahlreiche Branchen. Insbesondere in Verbindung mit deren „unendlichen Möglichkeiten“ und den erhofften Erwartungen an einen Effizienzgewinn ist sie in aller Munde. Fest steht, KI wird die Welt in den kommenden Jahren grundlegend verändern.

Wichtig ist zu wissen, was KI leisten kann und was nicht. Auch mit Blick auf viele ungelöste Fragen rund um rechtliche Belange - darauf geht Peter Helfenstein, Senior Business Development Manager Banking, Financial Services, Insurance, bei Endava im Interview ein.

Herr Helfenstein, künstliche Intelligenz (KI) beziehungsweise speziell generative KI ist ja gerade das Thema schlechthin. Gilt das auch innerhalb der Versicherungsbranche?

Künstliche Intelligenz und generative KI sind zweifellos relevante Themen in der Versicherungsbranche. Auf Messen und anderen Branchenveranstaltungen wird aktuell viel zu diesen Themen und möglichen Einsatzszenarien in der Assekuranz gesprochen. Die Diskussionen rund um KI durchdringen dabei verschiedene Bereiche, wie Risikobewertung, Kundenbetreuung und Prozessoptimierung. Unternehmen nutzen KI, um große Datenmengen zu analysieren und Muster zu erkennen, die Menschen übersehen könnten. Generative KI geht noch einen Schritt weiter, indem sie auf der Grundlage vorhandener Daten neue Inhalte oder Modelle erstellt. Dies kann dazu beitragen, die Effizienz zu steigern und innovative Lösungen zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Kunden gerecht werden. In der Versicherungsbranche können das beispielsweise die intelligente Unterstützung im Callcenter, automatisierte Underwriting-Prozesse, personalisierte Versicherungsangebote oder verbesserte Schadensabwicklung sein.

Als Akteure in einem hochregulierten Sektor müssen Versicherer allerdings auch immer rechtliche und regulatorische Aspekte bedenken. Beispielsweise sind die Unternehmen für Empfehlungen gegenüber ihren Kunden verantwortlich und diese müssen nachvollziehbar sein. Solche Empfehlungen KI-basiert zu erstellen, wäre leicht möglich, doch darunter würde die Nachvollziehbarkeit leiden.

Gibt es konkrete Beispiele, wie Versicherer generative KI heute schon einsetzen?

Tatsächlich ist KI in der Versicherungsbranche kein ganz neues Thema, aktuell befinden wir uns allerdings auf der Spitze eines Hypes. Die meisten Unternehmen haben die Technologie ausprobiert und in Discovery-Projekten erste Erfahrungen gesammelt.

Ein konkretes Beispiel für den Einsatz von generativer KI in der Versicherungsbranche ist die automatisierte Unterstützung von Mitarbeitern mit Informationen oder bei der Dokumentation, im Kundenkontakt, bei der Risikobewertung oder auch bei der Erfassung von Schäden. Durch den Einsatz von generativer KI können Versicherungsunternehmen komplexe Risiken effizienter und präziser analysieren oder individuelle Versicherungspolicen auf der Grundlage von Daten aus den verschiedensten internen oder öffentlich verfügbaren Quellen erstellen. Dabei werden Mitarbeiter durch intelligente Funktionen entlastet und müssen nicht mehr selbst nach relevanten Informationen in Handbüchern, Spreadsheets oder Systemen suchen. Darüber hinaus kann generative KI bei der Schadensprävention und Betrugserkennung helfen, indem frühzeitig potenzielle Risiken identifiziert und präventive Maßnahmen vorgeschlagen werden.

Welche Vorteile kann die Technologie Versicherungsunternehmen, Vermittlern und Kunden noch bieten?

Da wären verbesserte Effizienz durch die intelligente Unterstützung der Mitarbeiter bei Prozessen und Automatisierung, genauere Risikobewertung durch Analyse großer Datenmengen und personalisierte Kundenbetreuung durch maßgeschneiderte Versicherungslösungen zu nennen. Durch individuellere und damit attraktivere Versicherungsangebote profitieren Kunden von einer besseren Risikoeinschätzung.

Für Vermittler, die mit verschiedenen Versicherern zusammenarbeiten, ergibt sich ein Vorteil daraus, dass die KI helfen kann, unterschiedliche komplexe Policen besser zu verstehen und den Überblick zu behalten, bei Vertragsabschluss wie bei Schadenfällen.

Beispielsweise gibt es spezialisierte Plattformen, die Angebote verschiedener Versicherer im Detail automatisiert vergleichen können. So können Makler sehr schnell erkennen, welches Produkt am besten zu ihrem Kunden passt, oder Versicherern aufzeigen, wie sie sich am Markt wirklich unterscheiden. Ebenso steht im Schadenfall sofort die Information zur entsprechenden Deckung präzise zur Verfügung.

Themen der letzten Jahre wie Embedded Insurance, Blockchain oder auch Telematik sind hingegen etwas aus dem Fokus verschwunden. Finden sie dennoch inzwischen Anwendung?

Obwohl die Themen teilweise aus dem öffentlichen Fokus geraten sind, finden sie nun konkrete Anwendung in der Versicherungsbranche. Zum Beispiel wird Blockchain-Technologie für dynamische parametrische Versicherungen wie bei Ferienwetterversicherungen oder Erdbebenversicherungen eingesetzt, während Telematikdaten mit guter Erfahrung und den Daten aus mehrjährigem Einsatz zur Risikobewertung und für innovative Angebote in der Kfz-Versicherung genutzt werden.

Embedded Insurance, ein Ansatz, bei dem Versicherungen beim Verkauf anderer Produkte abgeschlossen werden, gewinnt stark an Bedeutung, da Versicherer nach solchen neuen Vertriebskanälen suchen. So wird beim Buchen eines Fluges direkt eine Versicherung mit angeboten, ein Kredit beim Abschluss versichert oder eine Garantie verlängert. Policen können dank flexibler Echtzeitsysteme und der genannten Technologien auch immer mehr nur für einen gewissen Zeitraum oder nutzungsbasiert abgeschlossen werden. Zum Beispiel wird das Auto dann speziell versichert, wenn es im Ausland gefahren wird.

Mit immer autonomeren oder bald selbstfahrenden Autos gewinnt Embedded Insurance zukünftig noch mehr Dynamik. Im Prinzip liegt die Haftung bei Unfällen in diesem Anwendungsfall immer mehr beim Produkt, also letztlich beim Hersteller. Daher wird es naheliegender, eine Kasko-Versicherung ähnlich einer Garantie direkt mit in den Kaufpreis oder den Leasingvertrag zu integrieren.

Was heißt das alles für die IT-Infrastruktur von Versicherungsunternehmen? Welche Veränderungen sind hier nötig?

Die Integration neuer Technologien wie KI erfordert permanente Anpassung der IT-Infrastruktur von Versicherungsunternehmen. Es braucht eine moderne Software- und Daten-Architektur, Schnittstellen und die notwendigen Kenntnisse davon. Leistungsfähige Datenanalyseplattformen müssen implementiert, die Datensicherheit und -integrität gewährleistet werden und die laufende Einbeziehung sowie Schulung von Mitarbeitern müssen sichergestellt werden. Eine moderne System- und Software-Architektur, flexible IT-Infrastruktur und agile Arbeitsweisen sind entscheidend, um den sich ständig ändernden Anforderungen gerecht zu werden und Innovationen voranzutreiben. Die Analyse der oft leistungsfähigen, aber zum Teil unflexiblen Bestandssysteme und entsprechende Maßnahmen sind jetzt äußerst wichtig und haben eine große Nachfrage.

In dem Kontext sind Cloud- und Multi-Cloud-Strategien Thema im Versicherungssektor. Viele Unternehmen der Branche fragen sich, wie sie die eigenen Infrastrukturen flexibler und bedarfsgerecht aufstellen können, um unter anderem neue KI-Workloads besser zu unterstützen. Darüber hinaus spielt Regulierung beim Einsatz von IT-Systemen eine wichtige Rolle, insbesondere ESG-Überlegungen.

Und wie können Versicherer sich in dieser Gemengelage von ihrer Konkurrenz abheben?

Um sich im dynamischen Markt von der Konkurrenz abzuheben, müssen Versicherer vor allem flexibel und innovativ sein und die neuesten Technologien effektiv nutzen. Dies kann durch die Entwicklung maßgeschneiderter Versicherungslösungen, eine verbesserte Kundenbetreuung und eine effizientere Geschäftsabwicklung erreicht werden. Eine klare Differenzierung ergibt sich auch aus der Fokussierung auf Kundenbedürfnisse, transparenter Kommunikation und dem Angebot einzigartiger Mehrwerte. Versicherer sollten kontinuierlich neue Trends und Entwicklungen beobachten und ihre Strategien entsprechend anpassen. Der Markt ist aktuell sehr spannend und die Frequenz der Innovationen nimmt stetig zu. In diesem Umfeld kommt es auch auf Schnelligkeit an, um als First Mover der Konkurrenz voraus zu sein.

Herr Helfenstein, vielen Dank für das Gespräch.

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