Das OLG Koblenz (Urteil vom 28. Februar 2018, Az. 4 W 79/18) entschied über die Schadensersatzpflicht eines Berufsbetreuers, nachdem er eine private Krankenversicherung (PKV) nebst ergänzender Pflegeversicherung (PV) gekündigt hatte und kurze Zeit später der Leistungsfall eingetreten war.
Das Gericht tenorierte, dass bei absehbarem Leistungsfall mit damit verbundener Beitragsbefreiung sich eine Kündigung der Pflege(zusatz)versicherung verbietet, trotz bereits bestehendem Grundschutz in der gesetzlichen Pflichtpflegeversicherung (PPV). Eine eventuelle Anzeigepflichtverletzung bei Abschluss von PKV und PPV könnte jedoch die Kündigung rechtfertigen – insbesondere wenn deshalb eben keine Leistungen zu erwarten sind.
Versicherungen mit Beitragsfreiheit im Leistungsfall
Es geht hier zunächst um Leistungen aus Versicherungen, die im Leistungsfall beitragsfrei werden, so Todesfallversicherungen, BU-Rentenversicherungen und – fallweise je nach Pflegegrad ganz oder teilweise (je nach AVB auch nicht) – private Pflegetagegeldversicherungen oder private Pflegerentenversicherungen.
Unfallversicherungen sind im Urteil erwähnt – indes ist der baldige Eintritt eines Unfalls ja wohl nicht vorhersehbar, außer wenn der Mann schon weiß, wann er seine Frau die steile Treppe herunterschubsen wird; oder in jenem Fall, wo der Mann zu Besuchern sagte "Die Dosis macht das Gift" und seine Frau im Hintergrund rief "Ich heiße Doris, nicht Dosis", aus der Giftküche.
Manchmal kann man sich helfen, indem nachgewiesen wird, dass der Versicherungsfall noch vor Wirksamwerden der Kündigung eingetreten ist. Mit etwas Pech weist aber der Versicherer (VR) dann nach, dass er schon vor Versicherungsbeginn eingetreten war.
Außer Beitragsfreiheit im Versicherungsfall wird wohl auch der Fall zu betrachten sein, dass die Leistung des Pflegetagegeldes per Saldo weit höher ist als der künftige Beitrag – ohne Freistellung.
Ferner kann die Kündigung einer Lebensversicherung unzeitig sein, also kurz vor Ablauf mit deutlichen Abschlägen. Auch in diesem Fall kann nur eine vorherige sachverständige Begutachtung weiterhelfen.
Ohne Privatgutachten kaum eine haftungssichere Entscheidung möglich
Natürlich wird kaum ein Betreuer selbst in der Lage sein, an Hand von Versicherungsschein und Bedingungen zu erkennen, was dort zu welchen Konditionen versichert ist, oder die Effekte von Kündigung versus Fortbestehen abzuschätzen.
Ferner ist auch noch an die Alternativen zu denken, wenn der Beitrag schwer aufgebracht werden kann: So beispielsweise die Beitragsfreistellung, eine Stundung, das Policendarlehen oder die Finanzierung aus aufgelaufenen Überschüssen. Auch käme gegebenenfalls die Herabsetzung etwa des Pflegetagegelds auf ein gegebenenfalls gleich hohes nur für schwere Pflegefälle in Frage.
Betreuer kann Jedermann sein – und damit ist so gut wie jeder Betreuer damit konfrontiert nicht erkennen zu können, dass ein Pflegetagegeld versichert war, geschweige denn die mitversicherte Beitragsbefreiung. Einfacher liegt allenfalls jener Fall, bei welchem der Wert einer Versicherung zur Bestattungsvorsorge höher als das Schonvermögen (derzeit 5.000 Euro) ist (SG Münster, Urteil vom 28.06.2018, Az. S 11 SO 176/16). Dann ist die Kündigung zumutbar, aber noch nicht stets wirksam.
Ergänzende Absicherungen über Versicherer und Sozialhilfeträger
Zur ergänzenden Absicherung ist ferner zu empfehlen, stets mit Bezug auf die Beitragszahlung eine Beratung durch den VR einzufordern, mit dessen Haftung, § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).
Sozialhilfeträger einschließlich Sozialamt sind zu Aufklärung, Beratung und Auskunft verpflichtet, §§ 13 ff. SGB I. Bei Verstoß hiergegen können sich Ansprüche auf sozialrechtliche (Wieder-)Herstellung sowie Amtshaftung ergeben. Dies etwa dann, wenn der Betroffene „nur“ Sozialhilfe bekommt, anstatt zur Beantragung einer höheren Erwerbsunfähigkeitsrente bei der DRV angehalten zu werden. Derartige Hinweise beziehungsweise Auskünfte haben „sachgerecht, das heißt vollständig, richtig und unmissverständlich“ zu sein (BGH III ZR 466/16).
Weckruf des BGH für (auch von Betreuern) angesprochene Staatsdiener
„Es entspricht darüber hinaus ständiger Rechtsprechung des Senats, dass besondere Lagen und Verhältnisse für den Beamten zusätzliche (Fürsorge-)Pflichten begründen können, zum Beispiel die Pflicht, einen Gesuchsteller über die zur Erreichung seiner Ziele notwendigen Maßnahmen belehrend aufzuklären oder in anderer Weise helfend tätig zu werden, wenn der Beamte erkennt oder erkennen muss, dass der Betroffene seine Lage in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht richtig zu beurteilen vermag. Insbesondere darf der Beamte nicht "sehenden Auges" zulassen, dass der einen Antrag stellende oder vorsprechende Bürger Schäden erleidet, die der Beamte durch einen kurzen Hinweis, eine Belehrung mit wenigen Worten oder eine entsprechende Aufklärung über die Sach- und Rechtslage zu vermeiden in der Lage ist. … Diese zusätzlichen Aufklärungs- und Belehrungspflichten ergeben sich aus dem Grundsatz, dass der Beamte nicht nur Vollstrecker staatlichen Willens, nicht nur Diener des Staates, sondern zugleich "Helfer des Bürgers" sein soll, und betreffen Fallkonstellationen, in denen sich die notwendige Hilfe oder eine andere gebotene Verhaltensweise situationsbedingt aufdrängen“.
Demnach besteht die Pflicht auf Gestaltungsmöglichkeiten, Vor- und Nachteile hinzuweisen. § 14 S.1 SGB I ist so zu verstehen, dass jedermann „Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat, nicht nur diejenigen Leistungsträger, denen gegenüber Rechte geltend zu machen oder Pflichten zu erfüllen sind, zur Beratung verpflichtet …“ sind.
Freilich wäre eine Betreuerhaftung nach § 1833 BGB vorrangig i.S.v. § 839 I 2 BGB (BGH a.a.O.).
Irrtum durch angebliche Rechtspfleger-Legende „Alles zu belassen wie es ist“
Es waren natürlich Gerichte, die im Einzelfall bei Vermögenssorge, Kapitalanlagen und Versicherungsdeckungen der Ansicht waren, der Betreuer oder Nachlasspfleger solle alles so belassen wie er es vorfindet. Es hat sich bereits als folgenschwerer Irrtum erwiesen, dieser Ansicht zu folgen (OLG Hamm, JR 1978, 201 = DAVorm 1978, 221), denn wenn der Betreute beispielsweise keine Privathaftpflichtversicherung besitzt, jedoch eine „deutlich erhöhte Gefahr“ darstellt, wird es naheliegen zur Vermeidung eigener Haftung gegenüber Dritten (die vom Betreuten geschädigt werden könnten), eine entsprechende Versicherung abzuschließen.
Noch vorsätzlicher war allenfalls das Betreuerverhalten im Fall des geschäftsunfähigen Professor P., dessen Hobby darin bestand, Versteigerungen zu besuchen, um zu Ersteigern: War das jeweilige Geschäft wirtschaftlich sehr günstig, hat der Betreuer dieses genehmigt – anderenfalls nicht.
Leistungen vom Versicherer anstatt Schadensersatz vom Betreuer
Sofern durch eine Kündigung über mehr als 3.000 Euro verfügt wird, ist diese unwirksam, § 1813 BGB (OLG Nürnberg, Urteil vom 24.03.2016, Az. 8 U 1092/15) – es sei denn ein Gegenvormund oder das Betreuungsgericht hatte die Kündigung (vorab) genehmigt. Entscheidend ist nicht etwa, dass es bei Kündigung einer PKV gar keinen Rückkaufswert (RKW) gibt – oder bei einer Lebensversicherung (LV) der RKW unter besagten 3.000 Euro liegt. Vielmehr kommt es auf die Verfügung an, also ob ein Recht übertragen, belastet, aufgehoben oder der Inhalt geändert wird, § 1812 BGB (BGH, Urteil vom 05.11.2009, Az. III ZR 6/09). Mithin auf den Wert einer zu erlangenden Leistung im Versicherungsfall.
Unwirksame Änderung des Bezugsrechts durch Betreuer
Dies betrifft auch Änderung und Widerruf eines Bezugsrechts (BR) in der LV. Entscheidend ist das Leistungsversprechen des VR. Selbst mit Genehmigung des Betreuungsgerichts wäre die Bezugsrechtsänderung nichtig, wenn dies einer Schenkung an den neuen Bezugsberechtigten gleichkommt, § 1908 I II BGB i.V.m. 1804 BGB – dies gilt erst recht, wenn der Betreuer sich selbst begünstigt, §§ 1795, 181 BGB (LG Düsseldorf, Urteil vom 15.11.2012, Az. 11 O 259/12). Die Mehrung des Vermögens des Betreuten durch BR-Widerruf kann ebenfalls problematisch werden – etwa bei vorliegender letztwilliger Verfügung, zur Absicherung des Bezugsrechts etwa als Vermächtnis.
Das OLG Koblenz beschrieb die Höhe der entgangenen VR-Leistungen mit mehr als 18.000 Euro – womit sich die Prüfung der Unwirksamkeit der Kündigungen von PKV und PPV sowieso aufdrängt. Einwendungen hätten Gerichte vom Amts wegen zu berücksichtigen – wenn sie erkannt werden.
Von Dr. Johannes Fiala, PhD, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de) und
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).