Despektierliches Verhalten als Ausdruck des Zeitgeistes hinnehmen?

Gute Manieren im Umgang mit anderen Menschen lernt man in aller Regel bereits in der Kindheit. Daran haben auch die antiautoritären Erziehungsbestrebungen der 68er-Generation letztendlich nichts ändern können. Sind gute Manieren also ein soziokulturelles Ergebnis, das durch nichts zu erschüttern ist? Schön wäre es.

(PDF)
Mittelfinger_53033400_FO_63CreationMittelfinger_53033400_FO_63Creation63Creation / fotolia.com© (2) experten-netzwerk GmbH

Die letzten Hürden des Anstandes

Was die antiautoritären Erziehungsmethoden nicht geschafft haben, scheint der Digitalisierung unserer Gesellschaft mit Leichtigkeit zu gelingen.

Zu keinem Zeitpunkt in unserer Geschichte war das soziale Miteinander auf einem so desaströsen Niveau wie heute, zu keinem Zeitpunkt war der Ton rauer, der Umgang miteinander respektloser.

Beflügelt durch die Anonymität der sozialen Netze und Plattformen fallen im gesellschaftlichen und im wirtschaftlichen Umfeld die letzten Hürden des Anstandes und der Höflichkeit. Davor ist auch der Personalmarkt nicht gefeit.

Den Rubikon überschritten

Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Daher verwundert es auch niemanden mehr, wenn Personalverantwortliche und Personalberater bei Zeugnissen schon mal ein Auge zudrücken.Aber wenn schlechte Manieren und Respektlosigkeit zur Normalität werden, ist der Rubikon überschritten.

Orthografie und Interpunktion bleiben öfter auf der Strecke

Unprofessionelles und unhöfliches Verhalten hat sich seit der Digitalisierung und dem daraus entstandenen E-Recruiting großflächig auch im Personalmarkt breitgemacht. Gerade auf Jobportalen, in beruflichen Netzwerken und im Rahmen des E-Recruitings sind mittlerweile Verhaltensweisen an der Tagesordnung, die nichts mehr mit einer respektvollen Kommunikation zu tun haben.

Auf Nachrichten wird einfach überhaupt nicht mehr geantwortet. Und wenn man eine Antwort bekommt, kann man noch froh über einen saloppen Stil sein. Leider scheinen dabei Orthografie und Interpunktion bisweilen Opfer eines partiellen Gedächtnisschwundes geworden zu sein. Zudem weicht in der IT- und Software-Branche die respektvolle Anrede auch schon einmal dem „hippen“, vertraulichen Du.

Respektvolle Kommunikation nicht mehr vonnöten

Heute kann ein Personalberater froh sein, wenn 20 Prozent der angeschriebenen Kandidaten überhaupt antworten. Selbst auf ausgewiesenen Jobportalen, wo man noch eher von einer manierlichen Antwortkultur ausgehen müsste, muss man mittlerweile damit rechnen, überhaupt keine Antwort mehr auf eine Anfrage zu bekommen. Generell lässt sich in den vergangenen Jahren feststellen, dass in der Halbanonymität der digitalen (Job-)Plattformen offenbar ein angemessenes, respektvolles Kommunikationsverhalten nicht mehr vonnöten ist.

Einerseits wird diese Einstellung auch von den unzähligen Personalvermittlern befördert, deren lustlose Einheitsanschreiben beim Kandidaten nicht unbedingt das Gefühl einer zumindest minimalen Wertschätzung auslösen. Gerade in der IT-Branche werden Kandidaten oftmals überhäuft mit einer Vielzahl qualitativ fragwürdiger Anfragen. Andererseits führt der Paradigmenwechsel im Personalmarkt von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt bei dem einen oder anderen Kandidaten zu einer gewissen Arroganz und Überheblichkeit, die sich in mangelnden Manieren und fehlender Höflichkeit manifestieren. Nach dem Motto: Ich habe es nicht nötig, auf das Anschreiben zu reagieren, oder das ist unter meinem Niveau.

Despektierliches Verhalten als Ausdruck des Zeitgeistes

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich der Personalberatungsmarkt verändert hat. Die Not der Unternehmen, geeignete Fach- und Führungskräfte zu rekrutieren, wird immer größer. In einigen Branchen wie der Informationstechnologie beispielsweise lassen sich Funktionen im fünfstelligen Gehaltsbereich nicht oder kaum noch besetzen. Aber muss man deshalb ein derartiges despektierliches Verhalten als Ausdruck des Zeitgeistes einfach hinnehmen? Mitnichten!

Gute Manieren befördern Karrieren

Benehmen, Höflichkeit und Taktgefühl haben bis heute ihren Wert als persönliche Wettbewerbsfaktoren nicht verloren. Studien belegen, dass Menschen mit guten Manieren und Umgangsformen erfolgreicher Karriere machen. Das beginnt beim Bewerbungsgespräch und hört beim Geschäftsessen oder dem Kundengespräch auf.

Frech kommt nicht immer weiter

Aber was kann man tun? Als Erstes sollten Unternehmen und Personalberater mit gutem Beispiel vorangehen und sich nicht von einem sozial grenzwertigen Verhalten anstecken lassen. Höflichkeit und Anstand – in gesprochener und geschriebener Form – sind nicht nur die Grundpfeiler unseres sozialen Zusammenlebens. Sie sind nach wie vor auch der Treibstoff für den beruflichen Erfolg. Frech kommt letztendlich nicht weiter, wie uns eine Werbung aus den 80er-Jahren einreden wollte.

Kontinuierliche Selbstreflexion

Als sich reflektierender Berater sollte man sich ständig hinterfragen: War das Anschreiben nicht adressatenorientiert genug? Wurden die Kandidaten vielleicht zu oft angesprochen oder angeschrieben? Entspricht die Ansprache noch den qualitativen Anforderungen das eigene Selbstverständnis? Die kontinuierliche Selbstreflexion verhindert, vom Strom eines vermeintlichen Zeitgeistes mitgerissen zu werden. Es liegt im eigenen Interesse eines professionellen Personalberaters, im Rahmen des gesamten Recruiting-Prozesses und der gesamten „Candidate Journey“ die sozialen Spielregeln einzuhalten, vorzuleben und vorzugeben.

Aktiv vorgelebtes Verhalten

Aus der Sozialpsychologie wissen wir, dass das Vorleben von Verhalten ansteckend sein kann. Schuld daran sind die sogenannten „Spiegelneuronen“. Jemand lächelt uns an und wir lächeln unwillkürlich zurück. Mit anderen Worten: Menschen passen ihr Verhalten einem aktiv vorgelebten Verhalten an. Es kommt also auch auf den Personalberater beziehungsweise Coach, auf sein stilvolles Verhalten, seine Freundlichkeit und seine Überzeugungskraft an, wie viele Kandidaten er für das Unternehmen gewinnen kann und wie es um die sozialen Qualitäten der Kandidaten bestellt ist. So gesehen besteht durchaus noch Hoffnung, dass die Phase des mangelnden Anstands und der Respektlosigkeit überwunden werden kann, wenn sich Unternehmer und Personalberater ihrer guten Erziehung bewusst und treu bleiben.

Professionelle Kommunikation als Wertschätzung

Im Umgang mit Kandidaten muss es Unternehmen und Personalberatern neben der professionellen Kommunikation auch um Verlässlichkeit und Wertschätzung gehen. Employer-Branding ist mehr als nur eine schicke Internetseite und herausstechende Argumente für den Arbeitgeber. Es geht auch um eine transparente und professionelle Kommunikation mit den Kandidaten. Und das bedeutet wiederum, dass es nicht angehen kann, dass ein Kandidat im Laufe des Bewerbungsprozesses keinerlei Rückmeldung erhält, um nur ein Beispiel zu nennen.

Sei es bei der Ansprache eines Kandidaten, beim Vorstellungsgespräch, beim Geschäftsessen oder bei Verhandlungen – gutes Benehmen öffnet Tür und Tor, denn das Gegenüber fühlt sich respektiert und geachtet.

Autorin: Christine Webers, Management Consultant, SELECTEAM Deutschland GmbH

(PDF)

LESEN SIE AUCH

Business people workingBusiness people workingVasyl – stock.adobe.comBusiness people workingVasyl – stock.adobe.com
Finanzen

Eher Berg- als Talfahrt: Neugründungen und Insolvenzen 2021

Herausforderungen in Gesellschaft und Wirtschaft führten in der Vergangenheit zu Innovationen und Entwicklungen, aus denen neue Arbeitsplätze, neue Firmen, gar neue Wirtschaftszweige wuchsen. Die letzten zwei Jahre hinterließen Spuren am Markt. Einige Branchen trafen die Maßnahmen hart, andere profitierten von ihnen.
Videocall-335944837-AS-fizkesVideocall-335944837-AS-fizkesfizkes – stock.adobe.comVideocall-335944837-AS-fizkesfizkes – stock.adobe.com
Management

Nähe schaffen trotz Distanz

Kurze Absprachen in der Teeküche, der schnelle Austausch auf dem Flur und persönliche Gespräche in der Kantine – all das fällt weg, wenn die Kolleginnen und Kollegen nicht mehr gemeinsam an einem Ort arbeiten. Beschäftigte müssen sich neue Wege für die Kommunikation suchen.Di
Paragraph Paragraf Zeichen - blauer Wrfel auf TastaturParagraph Paragraf Zeichen - blauer Wrfel auf TastaturFalko Müller - Riesa – fotolia.comParagraph Paragraf Zeichen - blauer Wrfel auf TastaturFalko Müller - Riesa – fotolia.com
International

Datenschutz: Unternehmen stehen weiter unter Dauerdruck

Ein aufwändiger Prüfprozess vor der Einführung jedes digitalen Tools, regelmäßig neue Entscheidungen der Aufsichtsbehörden und Gerichtsurteile in ganz Europa, die Auswirkungen auf das eigene Unternehmen haben können – die Anforderungen an den Datenschutz setzen Unternehmen in Deutschland unter Dauerdruck. Z
HOCKULUS / pixabayHOCKULUS / pixabay
Kommentar

Habecks Vorschlag zu GKV-Abgaben – eine gefährliche Gratwanderung

„Und deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen (...) sozialversicherungspflichtig machen.“ – Habecks Vorschlag zu GKV-Abgaben sorgt für heftige Debatte.

Puzzle-Pfeil-271598732-DP-AndrewLozovyiPuzzle-Pfeil-271598732-DP-AndrewLozovyiPuzzle-Pfeil-271598732-DP-AndrewLozovyi
Wirtschaft

Unternehmensakquise als einzige Überlebensstrategie

Transformationsprozesse führen zwar zu einem hohen Aufwand mit tiefgreifenden Veränderungen, sind jedoch essenziell, damit Unternehmen zukunftsfähig bleiben. In der aktuellen Situation sind Unternehmenskäufe nicht nur eine Option, sondern oft die einzige Überlebensstrategie für Unternehmen.

Fragezeichen-Symbol mit binärem Code im HintergrundFragezeichen-Symbol mit binärem Code im HintergrundSD Photography – stock.adobe.comFragezeichen-Symbol mit binärem Code im HintergrundSD Photography – stock.adobe.com
Digitalisierung

Jeder zweite Deutsche ängstigt sich existenziell vor KI

In Bezug auf KI bereiten die weitere Entwicklung, fehlende einheitliche Regelungen und mangelnde Nachvollziehbarkeit den Deutschen die größten Sorgen. Insgesamt glaubt jede*r Fünfte, dass KI und Big Data erhebliche negative Auswirkungen haben werden. Im Vorjahr waren nur 9 Prozent dieser Meinung.

Mehr zum Thema

Katharine Neiss, Chief European Economist bei PGIM Fixed IncomePGIMKatharine Neiss, Chief European Economist bei PGIM Fixed IncomePGIM
Wirtschaft

Die Notwendigkeit einer stärkeren EU-Marktintegration wird immer deutlicher

Katharine Neiss, Chief European Economist bei PGIM Fixed Income, beleuchtet in ihrem Marktkommentar die Dringlichkeit einer stärkeren EU-Marktintegration. Sie analysiert die Reformvorschläge von Mario Draghi und deren Auswirkungen auf Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunft der Eurozone.

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts MünchenifoProf. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts Münchenifo
Wirtschaft

Grundlegende Steuerreform soll Unternehmen und Haushalte entlasten

Das ifo Institut schlägt eine umfassende Reform des deutschen Steuer- und Abgabensystems vor. Ziel: Wachstumsimpulse für Unternehmen und mehr Anreize für Arbeit. Ein zentraler Punkt ist die Senkung der Steuerlast für Unternehmen und Haushalte.

Trumps klare Worte auf Truth Social ließen erahnen, dass er weiterhin an einer aggressiven Handelspolitik festhalten will.Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of AmericaTrumps klare Worte auf Truth Social ließen erahnen, dass er weiterhin an einer aggressiven Handelspolitik festhalten will.Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America
Wirtschaft

Trump lässt jetzt schon die Märkte wackeln – Wohin geht die Reise?

Noch vor seiner offiziellen Amtsübernahme sorgt Donald Trump bereits für Bewegung an den Finanzmärkten. Nachdem ein Bericht der Washington Post andeutete, dass Trumps geplante Zölle möglicherweise weniger breit ausfallen könnten als im Wahlkampf angekündigt, brach der US-Dollar am Montag zunächst ein.

Die wirtschaftliche Lage verschärft sich vor allem für Branchen wie Bau, Automobil und energieintensive Sektoren, die bereits jetzt unter massiven Problemen leiden.Foto: AdboestockDie wirtschaftliche Lage verschärft sich vor allem für Branchen wie Bau, Automobil und energieintensive Sektoren, die bereits jetzt unter massiven Problemen leiden.Foto: Adboestock
Wirtschaft

Deutschland Unternehmen pessimistisch wie selten

Die Zuversicht in der deutschen Unternehmenslandschaft schwindet rapide: Nur 14 Prozent der Firmen blicken optimistisch auf das Jahr 2025 und hoffen auf eine wirtschaftliche Erholung.

Die aktuelle Analyse von Bloomberg Economics zeichnet ein alarmierendes Bild der deutschen Wirtschaft.Foto: AdobestockDie aktuelle Analyse von Bloomberg Economics zeichnet ein alarmierendes Bild der deutschen Wirtschaft.Foto: Adobestock
Wirtschaft

Langsamer Niedergang: Experten schlagen Alarm – Deutschlands Wirtschaft am Scheideweg

Eine ernüchternde Bilanz der deutschen Wirtschaft hat das Wirtschaftsteam von Bloomberg Economics im Dezember veröffentlicht.

Antonio Skoro, Geschäftsführer der Qualitypool GmbHQualitypoolAntonio Skoro, Geschäftsführer der Qualitypool GmbHQualitypool
Wirtschaft

Bauzinsen vor dem Jahreswechsel leicht rückläufig – Unsicherheiten bleiben

Die Bauzinsen sind zum Jahresende leicht gesunken, doch Unsicherheiten in der Zinspolitik und wirtschaftliche Rahmenbedingungen könnten 2025 für Überraschungen sorgen, so der aktuelle Qualitypool Zinszoom.