Unter welchen Voraussetzungen ein Versicherer dem Vertreter wegen des Verdachts einer Straftat ohne vorherige Abmahnung kündigen kann, hatte das OLG Bamberg zu entscheiden. Im Streitfall war gegen den Vertreter ein Strafbefehl wegen versuchten Betrugs zulasten des Versicherers ergangen. Der Vertreter legte Einspruch ein. Das Verfahren wurde später gegen Zahlung von 1.200 Euro gemäß § 153 a StPO eingestellt. Vor der Einstellung hatte der Versicherer Akteneinsicht beantragt und den Vertretervertrag anschließend fristlos gekündigt. Hiergegen richtete sich die Klage des Vertreters. Sie ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Die Zurückweisung der Berufung begründete der VI. Zivilsenat in seiner Grundsatzentscheidung wie folgt.
Bestehe ein hinreichend erhärteter Verdacht, dass der Vertreter einem Kunden Beihilfe zum versuchten Betrug zum Nachteil des vertretenen Versicherers geleistet hat, könne der Versicherer unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung zur fristlosen Kündigung berechtigt sein. Der dringende Verdacht eines wichtigen Grundes rechtfertige allerdings nur dann eine Verdachtskündigung, wenn er auf hinreichend sicheren Anhaltspunkten basiert. Außerdem müsse der Kündigende alles ihm Mögliche und Zumutbare zur Sachaufklärung unternehmen. Schließlich dürfe ein Abwarten bis zur endgültigen Klärung entweder nicht möglich oder nicht zumutbar sein.
Die Verdachtskündigung setze daher neben dem Verdacht des Vorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes sowie dessen fristgerechter Geltendmachung nach Aufklärung des Sachverhalts auch eine Anhörung des zu Kündigenden voraus. Ferner sei zu prüfen, ob das verdächtige Verhalten vom Betroffenen abgestellt werden kann und deswegen zunächst abgemahnt werden muss und ob es sich insgesamt als so schwerwiegend erweist, dass eine Fortsetzung des Vertreters nicht mehr zumutbar und interessengerecht ist.
Ob eine Abmahnung erforderlich und die Vertragsfortsetzung unzumutbar ist, müsse umfassend geprüft werden. Hierbei müssten alle im Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorliegenden Umstände berücksichtigt werden. Dies gelte insbesondere auch für erst nachträglich bekannt gewordene Umstände, die den Verdacht erhärten oder abschwächen. Denn der Verdachtskündigung wohne das gesteigerte Risiko inne, dass ein Unschuldiger zu Unrecht mit dem Verlust des Vertragsverhältnisses sanktioniert wird.
Ein etwaiger Verdacht müsse objektiv durch entsprechende Tatsachen begründet sein. Es müssten starke Verdachtsmomente vorliegen, die auf objektiven Tatsachen beruhen und geeignet sind, das für die Fortsetzung erforderliche Vertrauen des Unternehmers zu zerstören. Erforderlich sei daher ein dringender Tatverdacht, das heißt, es müssen Tatsachen vorliegen, die eine große, zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit begründen, dass der Vertreter eine schwere Pflichtverletzung oder Straftat begangen hat.
Werde ein Strafbefehl gegen den Vertreter wegen einer Beteiligung an einem Versicherungsbetrug zulasten des Unternehmers erlassen, reiche dies in der Regel aus, eine Verdachtskündigung auszusprechen. Dies gelte aber nur dann, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung keinerlei offensichtliche Anhaltspunkte für eine andere Bewertung vorhanden sind, die es erfordern, den Vorgang kritisch und zurückhaltender zu bewerten.
Ein vom Vertreter eingelegter Einspruch gegen einen Strafbefehl bedeute nicht, dass der dringende Tatverdacht verneint werden müsse. Dies gelte insbesondere, wenn die Angaben der weiteren Angeklagten für eine Tatbeteiligung des Vertreters sprechen. Dass das Verfahren später wegen geringer Schuld gemäß § 153 a StPO eingestellt worden ist, habe auf die Wirksamkeit der zuvor erklärten Verdachtskündigung keinen Einfluss. Die rechtswirksam ausgesprochene Verdachtskündigung stehe nicht unter der auflösenden Bedingung einer Nichtbestätigung des erhobenen Vorwurfs. Außerdem ergebe sich aus der Einstellung nach § 158 a stopp nicht die Unschuld des Vertreters. Der Verdacht einer strafrechtlichen Beteiligung des Vertreters an einer versuchten vorsätzlichen Schädigung des Versicherers wiege im Allgemeinen so schwer, dass das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört wird.
Zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung sei jedoch die Erfüllung der Anhörungspflicht. Der Vertreter müsse mit dem Vorwurf konkret konfrontiert und es muss ihm Gelegenheit gegeben werden, sich zum Tatvorwurf zu äußern und zu verteidigen. Auf diese Weise sei es dem Vertreter zu ermöglichen, die Verdachtsmomente zu entkräften oder zu beseitigen, zumindest aber Entlastungs- oder Rechtfertigungsgründe vorzubringen. Dies könne maßgeblichen Einfluss auf die Beurteilung des Vertrauensverlustes und den Kündigungsentschluss haben.
Die Anhörung müsse sich auf einen Sachverhalt beziehen, der so weit konkretisiert ist, dass sich der Vertreter darauf substantiiert einlassen kann. Ihm dürften keine wesentlichen Erkenntnisse vorenthalten werden, die der Unternehmer im Anhörungszeitpunkt besitze. Verletze der Unternehmer seine Anhörungspflicht, so kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht berufen – weshalb der außerordentlichen Kündigung die Wirksamkeit zu versagen sei. Auf der anderen Seite reiche es aus, wenn der Unternehmer den Vertreter dazu befrage, dass gegen ihn wegen Beihilfe zum Versicherungsbetrug Ermittlungen geführt würden. Die Anforderungen an eine Anhörung zur Vorbereitung einer Verdachtskündigung dürften nicht überspannt werden.
Allerdings sei eine Anhörung entbehrlich, wenn der Vertreter von vornherein nicht bereit sei, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen. Erkläre der Vertreter lapidar, dass alles in Ordnung sei und das Ganze im Sande verlaufen werde, ohne weitere konkrete Angaben zum Tatvorwurf zu machen, sei daraus ersichtlich, dass ihm nicht daran gelegen sei, sich mit den erhobenen Vorwürfen auseinanderzusetzen.
Bei der Beteiligung an Straftaten zum Nachteil des Unternehmers sei eine Abmahnung vor der außerordentlichen Kündigung entbehrlich. In diesen Fällen sei davon auszugehen, dass der Kündigungsgrund ausnahmsweise bereits unabänderlich die fristlose Kündigung rechtfertigt.
Die fristlose Kündigung müsse zwar innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist ausgesprochen werden. Ein zweimonatiges Zuwarten sei nicht mehr als angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Überlegung der hieraus zu ziehenden Folgerungen anzusehen. Die Überlegungsfrist beginne aber erst ab sicherer Kenntnis des Kündigungsgrundes. Dabei müsse der Unternehmer einem hinreichend konkreten Verdacht nachgehen. Werde ein Strafbefehl erlassen, sei der Unternehmer nicht verpflichtet, weitergehende Ermittlungen in Form von Zeugenbefragungen durchzuführen.
Dies gelte jedenfalls, wenn angesichts der Ermittlungen, der Zeugenaussagen und der Vernehmungen von weiteren Beschuldigten keine weitergehende Sachverhaltsaufklärung erforderlich sei. Sodann reiche es, wenn der Unternehmer die Ermittlungsakten einsehe. Habe der Unternehmer am 25. Januar Akteneinsicht nehmen können und erkläre er am 7. Februar die fristlose Kündigung, sei die Überlegungsfrist auch dann gewahrt, wenn er bereits im August des Vorjahres von der Polizei über ein Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist.
Autor: Rechtsanwalt Jürgen Evers, EVERS Rechtsanwälte für Vertriebsrecht, Fon: 0421 696 77 0, Mail: j.evers@evers-vertriebsrecht.de