Weniger Zukunftsängste, aber soziale Ungleichheit verschärft sich

Erwerbstätige mit niedrigeren Einkommen leiden deutlich mehr unter den negativen wirtschaftlichen Folgen durch die Corona-Pandemie als Menschen mit höheren Einkommen, so eine Umfrage von Kantar Deutschland im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung.

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So haben sie beispielsweise während der Pandemie spürbar häufiger schon an Einkommen eingebüßt. Sie erhalten bei Kurzarbeit deutlich seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und sie fürchten etwa doppelt so häufig, als Folge der Pandemie ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Tarifvertrag und Mitbestimmung bieten bessere Perspektiven für Beschäftigte

Im Fall von Kurzarbeit erhalten beispielsweise 54 Prozent der Befragten mit Tarifvertrag eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, während es ohne Tarifvertrag nur 31 Prozent sind.

In Betrieben mit Betriebsrat existieren deutlich häufiger feste Regeln für das Homeoffice als in Betrieben ohne Mitbestimmung. Wenn es eine solche Vereinbarung gibt, empfinden Befragte die Arbeitssituation im Homeoffice als weniger belastend. Zudem finden in Betrieben mit Betriebsrat in allen Qualifikationsgruppen häufiger Weiterbildungen der Beschäftigten statt.

Weniger um Jobverlust Besorgte

Bei der Betrachtung aller Befragten, ist der Anteil derjenigen, die bereits Einkommenseinbußen erlitten haben, zwischen April und Juni von 20 auf 26 Prozent gestiegen.

Aber es machen sich auch weniger Menschen Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft oder ihren Job.

Zufriedenheit mit Krisenmanagement

Nach wie vor sind insgesamt rund zwei Drittel der Befragten eher oder voll zufrieden mit dem Krisenmanagement, allerdings sind auch hier die Unterschiede erheblich: Die Zustimmungswerte steigen mit dem Einkommen und liegen zwischen 46 Prozent bei Erwerbstätigen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1.500 Euro und 72 Prozent bei einem Haushaltsnetto über 3.200 Euro.

Zudem können sich 39 Prozent aller Befragten auch vorstellen, dass die Pandemie „benutzt wird, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen“. Dieser Verdacht ist unter Menschen mit niedrigen Einkommen ebenfalls überdurchschnittlich verbreitet: Hier stimmen 50 Prozent zu.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und Soziologieprofessorin an der Universität Paderborn, dazu:

„Angesichts der enormen weltweiten Erschütterungen durch die Pandemie zeigt sich die deutsche Gesellschaft bislang vergleichsweise stabil. Ein handlungsfähiger Sozialstaat, belastbare Arbeitnehmerrechte mit Tarifverträgen und Mitbestimmung, eine lösungsorientierte Politik und ein meist sozialpartnerschaftlicher Ansatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wirken ganz offensichtlich positiv. Aber unsere Stabilität ist fragil. Sie kann ins Kippen geraten, wenn diejenigen, die schon vorher finanziell und sozial schlechter gestellt waren, in der Krise noch weiter zurückfallen.“

Kurzarbeitergeld: Seltener Aufstockung bei niedrigem Einkommen

Von den befragten Erwerbstätigen gaben 12 Prozent an, im Juni in Kurzarbeit gewesen zu sein. Wenn diese Zahl auf die Gesamtzahl der Beschäftigten hochgerechnet wird, die in Kurzarbeit gehen können, entspräche dies knapp fünfeinhalb Millionen Menschen.

Weitere neun Prozent der Befragten gaben an „weniger zu arbeiten“ oder ihre vertragliche Arbeitszeit reduziert zu haben, aber nicht in Kurzarbeit zu sein. Hierzu dürften vor allem Selbstständige zählen.

Von den Befragten in Kurzarbeit erklären 43 Prozent, dass ihr Kurzarbeitergeld aufgestockt werde. 53 Prozent erhalten keine Aufstockung, der Rest konnte das nicht sagen. Gegenüber April ist der Anteil der Befragten mit einer Aufstockung um rund 10 Prozent gestiegen. Dazu dürfte beitragen, dass das gesetzliche Kurzarbeitergeld mittlerweile ab dem vierten Bezugsmonat auf 70 beziehungsweise 77 Prozent (mit Kind) steigt.

Trotz dieser gesetzlichen Regelung, die im Zeitverlauf für eine gewisse Angleichung sorgt, erhalten Personen, die in einem Unternehmen mit Tarifvertrag arbeiten, nach der Umfrage weiterhin deutlich häufiger (54 Prozent) eine Aufstockung als Personen, die nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt werden (31 Prozent).

Ebenfalls groß ist der Unterschied nach Einkommensgruppen: Befragte, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro verfügen, erhalten deutlich seltener eine Aufstockung als Personen, die über ein Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 2.600 Euro verfügen (33 Prozent zu 48 Prozent ab 2.600 Euro und 46 Prozent ab 3.200 Euro).

14 Prozent der Befragten gaben an, sie würden während der Pandemie mehr arbeiten. 63 Prozent sehen Ende Juni beim Umfang ihrer Erwerbstätigkeit keinen nennenswerten Unterschied zu der Zeit vor der Krise. Dieser Anteil ist unter Menschen mit mittlerem (ab 2.600 Euro monatlich) und höherem Haushaltsnettoeinkommen (ab 3.200 Euro) etwas höher als bei Erwerbstätigen mit niedrigerem Haushaltsnetto.

Häufiger Sorgen um wirtschaftliche Zukunft bei niedrigerem Einkommen

Während im April 20 Prozent der Befragten sagten, die Epidemie habe sich bereits negativ auf ihr persönliches Einkommen ausgewirkt, waren es im sogar Juni 26 Prozent.

Auch hier zeigt sich eine deutliche soziale Spreizung: In Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 1.500 Euro berichten 40 Prozent von Einbußen. Bei einem Haushaltsnetto zwischen 1.500 und 2.600 Euro haben 30 Prozent der Befragten Einkommen verloren. In der Einkommensklasse zwischen 2.600 und 3.200 Euro berichten 26 Prozent davon. In der Gruppe ab 3.200 Euro monatlichem Haushaltsnetto sind es 22 Prozent.

Gleichzeitig sind die Befragten in der höchsten Einkommensgruppe auch am optimistischsten, generell von Einkommensverlusten verschont zu bleiben: Damit rechnen 60 Prozent gegenüber nur 36 Prozent in der untersten Gruppe. In allen Einkommensgruppen geben die Befragten etwas seltener an, Einkommenseinbußen zu erleben, wenn sie ein Arbeitsverhältnis mit Tarifvertrag haben.

Zukunftsangst der Deutschen gesunken

Während im April 70 Prozent der Erwerbstätigen Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation äußerten, waren es im Juni nur noch 58 Prozent. Dabei war vor allem der Anteil mit „großen“ Sorgen rückläufig (von 24 auf 15 Prozent).

Allerdings waren auch hier die sozialen Unterschiede weiterhin sehr groß: Am stärksten sank der Anteil der Besorgten unter den Befragten mit mehr als 3.200 Euro Haushaltsnetto (von 61 auf 47 Prozent). Dagegen blieb er in der Gruppe unter 1.500 Euro praktisch unverändert und weitaus höher (erst 83, jetzt 82 Prozent). Die mittleren Einkommensgruppen lagen bei Niveau und Trend dazwischen.

Angst vor Arbeitslosigkeit bei niedrigem Einkommen höher

19 Prozent der Befragten in der Gruppe bis 1.500 Euro netto befürchten, durch die Corona-Krise in nächster Zeit ihre Stelle zu verlieren. In den übrigen Gruppen sagen das, mit aufsteigendem Einkommen, 13, 11 und acht Prozent.

Im Vergleich zum April hat sich allerdings auch unter den Erwerbstätigen mit niedrigerem Einkommen die Stimmung aufgehellt: Der Anteil der Besorgten sank um 10 Prozentpunkte und damit deutlich stärker als in den anderen Einkommensgruppen.

Mütter übernehmen häufiger Betreuungsarbeit

Auch wenn im Juni viele Kitas und Schulen zumindest zeitweise wieder öffneten, waren Bildungs- und Betreuungseinrichtungen aber nach wie vor von einem Normalbetrieb weit entfernt.

Wie in der ersten Welle zeigt die neue Befragung: Es sind vor allem die Mütter, die die anfallende Betreuungsarbeit übernehmen. Darüber sind sich männliche und weibliche Befragte, die in Paarbeziehungen leben und Kinder haben, weitgehend einig: 55 Prozent der Männer geben an, ihre Partnerin würde den größeren Anteil schultern, neun Prozent verorten die Sorgearbeit vor allem bei sich selbst, 36 Prozent sehen eine annähernd gleiche Verteilung. Unter den Frauen sagen 62 Prozent, sie würden die Kinderbetreuung in erster Linie selbst übernehmen, acht Prozent attestieren das ihren Partnern, 30 Prozent sprechen von einer Gleichverteilung.

Damit ist gegenüber der Befragung vom April der Anteil der in erster Linie betreuenden Väter und der Paare mit ausgeglichener Verteilung noch einmal leicht gesunken.

Bettina Kohlrausch dazu:

„Die Befürchtung bleibt, dass sich Mütter und Väter unter dem Druck der Krise wieder an traditionellere Rollenmuster gewöhnen. Wir können da keine Entwarnung geben, und wir sehen spürbare Effekte bei der Arbeitszeit.“

So arbeiteten männliche Befragte mit Kindern vor der Corona-Krise im Durchschnitt 41 Stunden pro Woche, Frauen 31 Stunden. Ende Juni lag die wöchentliche Arbeitszeit der Väter bei durchschnittlich 38 Stunden, die der Mütter bei 26 Stunden. Die Differenz stieg also von 10 auf 12 Stunden.

Homeoffice ist weniger belastend in Betrieben mit Betriebsrat

Auch Ende Juni arbeiteten weitaus mehr Befragte mobil und im Homeoffice als vor Ausbruch der Pandemie. Allerdings ist der Anteil gegenüber April wieder gesunken, was für eine gewisse Normalisierung spricht.

Vor der Krise arbeiteten rund 4 Prozent der Befragten überwiegend oder ausschließlich zu Hause, im April waren es 27 Prozent, im Juni 16 Prozent. Weitere 17 Prozent gaben im Juni an, abwechselnd im Betrieb, mobil oder zu Hause zu arbeiten.

Die Erfahrungen von Beschäftigten mit dem Homeoffice sind oft durchaus gemischt: So haben 60 Prozent der Befragten mit Homeoffice-Nutzung den Eindruck, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit bei der Arbeit zu Hause verschwimmen. 37 Prozent geben an, im Homeoffice mehr Wochenstunden zu arbeiten.

Andererseits sagen 77 Prozent, das Homeoffice erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 60 Prozent glauben, die Arbeit daheim sogar effektiver organisieren zu können als im Betrieb.

Insgesamt deutlich positiver urteilen Befragte, in deren Unternehmen klare Regeln zum Homeoffice gelten. Solche Regeln haben laut der Befragung 62 Prozent der Betriebe mit Betriebsrat, aber nur 37 Prozent der Betriebe ohne Arbeitnehmervertretung.

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