Covid-19: Ungleichheit zwischen hohen und niedrigen Einkommen wächst

Die Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen in Deutschland wird durch die Corona-Pandemie noch größer werden.

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Grund ist, dass Erwerbspersonen mit schon vorher niedrigen Einkommen im bisherigen Verlauf der Corona-Krise fast doppelt so häufig von Einbußen betroffen sind wie Menschen mit hohen Einkommen. Zudem haben sie relativ am stärksten an Einkommen verloren.

Trend verschärft sich

Dieser Trend hat bereits die wirtschaftlich starken 2010er-Jahre gekennzeichnet: Die 20 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkünften blieben von einer insgesamt recht positiven Einkommensentwicklung weitgehend abgekoppelt.

So lagen im finanziell „untersten“ Zehntel der deutschen Haushalte die mittleren Nettoeinkommen real im Jahr 2017, dem aktuellsten, für das derzeit Daten vorliegen, noch um knapp drei Prozentpunkte unter dem Niveau von 2010.

Im 2. Dezil gab es nur einen geringfügigen Zuwachs um inflationsbereinigt knapp drei Prozentpunkte. Dagegen legten die mittleren realen Nettoeinkommen der Haushalte im „obersten“ Zehntel der Einkommensverteilung im gleichen Zeitraum um knapp acht Prozentpunkte zu. Auch die mittlere Einkommensgruppe (5. Dezil) konnte während des langen wirtschaftlichen Aufschwungs spürbare Zuwächse verzeichnen – um insgesamt gut sieben Prozentpunkte zwischen 2010 und 2017.

Schutzmechanismen müssen gestärkt werden

In der Corona-Krise dürfte nach den bislang vorliegenden Daten aber auch zumindest ein Teil der mittleren Einkommen zurückfallen und dadurch die Ungleichheit auf allen Ebenen wieder wachsen. Zumindest dann, wenn nicht Schutzmechanismen schnell weiter gestärkt werden.

Dazu zählen unter anderem ein höheres Kurzarbeitergeld und eine längere Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I über 2020 hinaus bis zum Ende der Krise. Das ergibt der neue Verteilungsbericht 2020 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, fasst wesentliche Ergebnisse der Studie zusammen:

„Deutschland ist bislang besser durch die Krise gekommen als viele andere Länder. Trotzdem gilt auch bei uns: Menschen, die zuvor schon wenig hatten, sind besonders oft und besonders hart von wirtschaftlichen Verlusten betroffen. Denn sie arbeiten oft an den Rändern des Arbeitsmarktes. Dort werden sie nur unzureichend durch Schutzmechanismen in den Sozialversicherungen oder durch Tarifverträge erfasst, die viele Beschäftigte im mittleren Einkommensbereich bisher recht effektiv vor drastischen Einkommenseinbußen bewahrt haben. Ob wir es schaffen, die Pandemie ohne tiefe gesellschaftliche Risse zu überstehen, wird daher wesentlich von zwei Faktoren abhängen: Erstens müssen soziale Sicherung und Kollektivverträge gestärkt werden. Die Krise zeigt, dass sie Aktivposten unserer sozialen Marktwirtschaft sind. Zweitens müssen Haushalte mit geringeren Einkommen besser als bisher gegen noch größere Einbußen geschützt werden.“

Gelinge das nicht, könnte das auch die Identifikation erheblicher Teile der Bevölkerung mit der Demokratie in Deutschland schädigen, warnt die Soziologin.

Dr. Andreas Hövermann, Ko-Autor, erklärt:

„Wir sehen in unserer Forschung deutlich: Menschen, die durch Einkommensverluste belastet sind, beurteilen die politische und soziale Situation im Land deutlich kritischer. Und sie zeigen sich im Durchschnitt sogar empfänglicher für Verschwörungsmythen zur Pandemie.“

Entwicklung in den 2010er Jahren

Die Ungleichheit der Einkommen in Deutschland liegt im Vergleich der Industrieländer auf einem mittleren Niveau. Doch sind sie aktuell deutlich ungleicher verteilt als noch in den 1990er Jahren. Das liegt vor allem an einem kräftigen Anstieg der Ungleichheit rund um die Jahrtausendwende, als sich lediglich höhere Einkommen stark entwickelten, während mittlere und insbesondere niedrigere zurückblieben.

Der Gini-Koeffizient stieg zwischen 1999 und 2005 von knapp 0,25 auf 0,289 – eine für diesen kurzen Zeitraum auch im internationalen Vergleich starke Zunahme. Darauf folgte eine kurze Phase, in der die Ungleichheit der Einkommen auf dem erhöhten Niveau stagnierte und dann etwas zurückging.

In den 2010er Jahren kletterte der Gini-Wert zunächst auf einen neuen Höchstwert: 2013 erreichte er 0,294, das ist die größte seit Einführung des SOEP gemessene Einkommensungleichheit in Deutschland.

Im derzeit aktuellsten Jahr 2017 betrug der Gini erneut 0,289 – und war damit immer noch deutlich höher als zu Beginn des Jahrzehnts.

Solide Entwicklung der mittleren Einkommen

Dass die Ungleichheit gegenüber dem Höchststand 2013 bis 2017 leicht gesunken ist, lässt sich nach der WSI-Analyse wesentlich auf die solide Entwicklung der mittleren Einkommen zurückführen. Das macht der Dezil-Vergleich deutlich: Die realen Einkommen in der Mitte der Verteilung (5. Dezil) blieben im Gesamtzeitraum 2010 bis 2017 prozentual kaum hinter dem „obersten“ (10.) Dezil zurück, weil sie sich in der zweiten Hälfte recht kräftig entwickelten. Dagegen nahmen die Einkommen in der „zweituntersten“ Gruppe (Dezil 2) kaum zu. Die Einkommen im ersten Dezil blieben sogar unter dem Niveau von 2010.

Parallel lag 2017 der Anteil der Haushalte in Deutschland, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte zur Verfügung haben und deshalb nach gängiger wissenschaftlicher Definition als einkommensarm gelten, mit 16 Prozent um zwei Prozentpunkte höher als 2010.

Überproportional von Armut betroffen waren 2017 unter anderem Alleinerziehende, Arbeitslose, Menschen mit Migrationshintergrund und Ostdeutsche. Dagegen hatten etwa Personen mit Hochschulabschluss, Selbstständige, Beamte und Angestellte ein deutlich unterdurchschnittliches Armutsrisiko.

Corona-Krise: Haushalte mit niedrigen Einkommen leiden besonders stark

Der Rückstand der niedrigen Einkommen hat sich nach den Daten der Erwerbspersonenbefragung im bisherigen Verlauf der Corona-Krise noch verschärft. Und diesmal fallen auch Haushalte im „unteren“ Bereich der mittleren Einkommensgruppen gegenüber jenen mit hohen Einkommen zurück.

Der Trend zeigt sich in gleich zwei Dimensionen: Je niedriger ihr Einkommen schon vor der Krise war, desto häufiger haben Befragte im Zuge der Pandemie an Einkommen eingebüßt. Zudem steigt mit abnehmender Einkommenshöhe der Anteil, um den sich das Einkommen reduziert hat: Wer weniger hatte, hat also relativ auch noch besonders viel verloren.

Einkommenseinbußen der verschiedenen Gruppen

Im Durchschnitt aller Befragten haben bis Juni 2020 knapp 32 Prozent Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. In den beiden Gruppen mit niedrigen Haushaltseinkommen unter 1.500 Euro netto monatlich lag der Anteil aber deutlich über 40 Prozent (rund 49 beziehungsweise 41 Prozent). In der „untersten“ der mittleren Einkommensgruppen, die zuvor 1.500 bis 2.000 Euro netto hatte, waren knapp 37 Prozent betroffen. In den Gruppen zwischen 2.000 und 4.500 Euro monatlichem Haushaltsnetto lag der Anteil mit Verlusten bei gut 31 Prozent. Von den Befragten mit hohen Haushaltsnettoeinkommen über 4.500 Euro berichteten dagegen lediglich rund 26 Prozent über Einbußen.

Bei Betrachtung des Beschäftigungs- und Sozialprofils der Befragten mit Verlusten, waren neben Selbstständigen vor allem prekär Beschäftigte wie Leiharbeiter und Minijobber besonders oft betroffen. Stärker verbreitet waren Einkommensverluste auch bei Menschen mit Migrationshintergrund und mit Kindern.

Höhe der Ausfälle steht im Zusammenhang mit Einkommen

Von den Befragten, die von Einkommensverlusten berichtet haben, hatten in Haushalten mit mehr als 2.600 Euro Monatsnetto rund 30 Prozent Einbußen von mehr als einem Viertel ihres Einkommens. Dagegen büßten in der Gruppe mit maximal 2.000 Euro Haushaltsnetto im Fall von Verlusten immerhin knapp 50 Prozent mindestens ein Viertel ein. Noch größere Verluste kamen vor allem bei Niedrigeinkommen unter 900 Euro vor: Dort erlitten knapp 20 Prozent sogar Einbußen von mehr als der Hälfte ihres Einkommens.

Als wichtige Gründe für spürbare Einkommenseinbußen identifiziert das WSI neben dem Verlust von Umsätzen bei Selbstständigen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes, der bislang vor allem prekär Beschäftigte betraf, Kurzarbeit.

Diese sichert in der Krise zwar zahlreiche Jobs, kann für betroffene Beschäftigte aber empfindliche Einbußen bedeuten.

Maßnahmen gegen wachsende Ungleichheit

Um einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich gegenzusteuern, empfehlen Bettina Kohlrausch, Aline Zucco und Andreas Hövermann einen Mix aus kurz- und längerfristigen Maßnahmen.

Kurzfristige Maßnahmen

  • Anhebung des Kurzarbeitergeldes, insbesondere für Beschäftigte mit Niedrigeinkommen.
  • Für den gesamten Zeitraum der Krise eine Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld
  • Dauerhafte Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf ein "armutsfestes" Niveau.
  • Mehr Qualifizierungsmöglichkeiten während der Kurzarbeit. Das Qualifizierungschancengesetz setzt dafür zwar schon einige Anreize, diese sollten aber noch gestärkt werden.

Längerfristige Maßnahmen

  • Anhebung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns auf 60 Prozent des mittleren Lohns von Vollzeitbeschäftigten.
  • Stärkung der Tarifbindung, unter anderem durch eine gesetzliche Tariftreueklausel als Voraussetzung für öffentliche Aufträge.
  • Bessere Anerkennung der Ausbildungsabschlüsse von Migranten und Migrantinnen und mehr Qualifizierung.
  • Rückkehr zu einer progressiven Besteuerung von Kapitalerträgen und stärkere Besteuerung sehr hoher Erbschaften, um eine weitere Konzentration von Vermögen zu begrenzen.

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