Erfreuliche Nachrichten für Versicherungsnehmer kamen Ende März 2021 aus Karlsruhe: Der Bundesgerichtshof entschied im Rahmen einer Klage der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegen die ARAG, dass eine von der ARAG und anderen Versicherern verwendete Klausel, die für den Rechtsschutzfall auch auf den Vortrag des Anspruchsgegners abstellt, nicht zulässig ist.
Doch worum geht es genau und was bedeutet dies für die Versicherungsnehmer? Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und die ARAG stritten über die Wirksamkeit von Klauseln, die die ARAG seit 2016 in § 4 ihrer Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2016, Stand 01/2016) verwendete.
Die streitgegenständlichen Klauseln lauten auszugsweise:
„§ 4 Voraussetzung für den Anspruch auf Versicherungsschutz
(1) Sie haben Anspruch auf Versicherungsschutz, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Diesen Anspruch haben Sie aber nur, wenn der Versicherungsfall nach Beginn des Versicherungsschutzes und vor dessen Ende eingetreten ist.
Der Versicherungsfall ist …
(c) in allen anderen Fällen der Zeitpunkt, zu dem Sie oder ein anderer (zum Beispiel der Gegner oder ein Dritter) gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften verstoßen hat oder verstoßen haben soll.
Hierbei berücksichtigen wir
- alle Tatsachen (das heißt konkrete Sachverhalte im Gegensatz zu Werturteilen),
- die durch Sie und den Gegner vorgetragen werden,
- um die jeweilige Interessenverfolgung zu stützen.
(4) in folgenden Fällen haben Sie keinen Versicherungsschutz:
…
b) Sie haben vor Beginn des Versicherungsschutzes einen Darlehens- oder Versicherungsvertrag geschlossen und üben ein Widerrufs- oder Widerspruchsrecht aus mit der Begründung, bei Abschluss des Darlehens- oder Versicherungsvertrags über das Widerrufs- oder Widerspruchsrecht gar nicht oder nur unzureichend aufgeklärt bzw. belehrt worden zu sein. Dies gilt auch dann, wenn Widerrufs oder Widerspruch nach Abschluss des Rechtsschutzvertrages erfolgen.“
Die Klausel „und den Gegner“
Der BGH entschied nun, dass die von der ARAG verwendete Klausel in § 4 (1) c) unwirksam ist, soweit die Worte „und den Gegner“ betroffen sind.
Die Verwendung der Worte „und den Gegner“ machen die Bestimmung des Versicherungsfalles auch von den gegnerischen Tatsachenbehauptungen im Ausgangsstreit abhängig.
Dies hielte der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht stand, weil der Versicherungsnehmer dadurch entgegen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt würde.
Eine gemäß § 307 Abs. 2 Nummer 2 BGB liegt im Zweifel dann immer vor, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
Hierbei hatte der Senat bereits in mehreren früheren Urteilen hervorgehoben, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem Leistungsversprechen des Versicherers dahingehend eine Solidarität entnehmen könne, dass dieser es gegen die Zahlung einer Prämie übernehme, die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen zu unterstützen.
Diese Solidaritätserwartung würde enttäuscht, wenn sich der Versicherer zur Leistungsablehnung auf den Vortrag des Anspruchsgegners stützt.
Wesentlicher Bestandteil dieser Unterstützung sei es, dass der Rechtsschutzversicherer bei der Bestimmung des Versicherungsfalles die Tatsachen zugrunde legt, mit denen der Versicherungsnehmer sein Rechtsschutzbegehren begründet.
Hierzu sagt der BGH genau
„Dabei ist vor allem entscheiden, dass bei/- der Festlegung des für die Leistungspflicht des Versicherers maßgeblichen Verstoßes noch kein Raum ist, Tatsachenbehauptungen einerseits des Versicherungsnehmers und andererseits des Anspruchsgegners jeweils auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen oder zu beweisen.
In dieser Situation hätte es, wie der Senat mehrfach hervorgehoben hat, der Anspruchsgegners Versicherungsnehmers, wäre auch auf sein Vorbringen abzustellen, in der Hand, dem Versicherungsnehmer den Rechtsschutz mittels bloßer Tatsachenbehauptung von vornherein zu entziehen, ohne dass es danach noch auf die Erfolgsaussichten der Interessenwahrnehmung oder weiteres ankäme.“
Die ARAG brachte mitunter vor, die Berücksichtigung des gegnerischen Vortrags sei angemessen, da der Versicherungsnehmer dem Versicherer ohnehin den maßgeblichen Sachverhalt einschließlich der gegnerischen Einwendungen vorzutragen habe.
Der BGH schloss sich diesem Ansatz jedoch nicht an und erklärte deutlich, dass § 4 (1) c) ARB keine Auskunfts- oder Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers statuiert. Vielmehr würden die Kriterien benannt, anhand derer die zeitliche und sachliche Bestimmung des Versicherungsfalls als Voraussetzung für die weitere Sachprüfung des Rechtsschutzversicherers erfolgt.
Die Verbraucherzentrale beantragte weiter, die ARAG zu verurteilen, alle betroffenen Versicherungsnehmer über die Unwirksamkeit der Klausel zu informieren. Auch dies bestätigte der BGH und stützte es auf § 8 Abs. 1 UWG, weil der Verstoß einer Klausel gegen § 307 BGB einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG darstellt.
Als Versicherungsmakler*in Ihrer ARAG Kunden brauchen Sie also nichts weiter zu tun.
Weiteres Thema der Entscheidung war zudem eine Klausel, nach der der Versicherungsschutz in zeitlicher Hinsicht für den Widerruf eines Darlehens- oder Versicherungsvertrages ausgeschlossen sein soll, wenn der Versicherungsnehmer den Darlehens- oder Versicherungsvertrag vor Beginn des Versicherungsschutzes der Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hatte.
Der BGH entschied, dass die verwendete Klausel weder intransparent noch überraschend sei. Sie widerspräche auch nicht weiteren Entscheidungen des BGH ( sogenannte „Haustürwiderrufsentscheidung“ oder die „Drei-Säulen-Theorie“).
Die Klausel würde den Streit über Darlehens- oder Versicherungsverträge und deren Widerruf nicht vollständig ausschließen, sondern lediglich in zulässiger Weise den dafür versicherten zeitlichen Rahmen beschreiben.
Fazit
Für Versicherungsnehmer bedeutet dieses Urteil sehr gute Neuigkeiten! Kaum ein Versicherungsnehmer hat einen Einblick darin, welche Feststellungen die Rechtsprechung über die Unwirksamkeit von einzelnen Klauseln trifft. Durch die nun entschiedene Verpflichtung des Versicherers, auch die betroffenen Versicherungsnehmer über die Unwirksamkeit einer Klausel zu informieren, ist den Versicherungsnehmern ein wichtiges Instrument in die Hand gegeben worden, sich mit Ihrer Hilfe gegen unberechtigte Deckungsablehnungen zu wehren.
Wenn der Versicherer keine Deckungszusage aussprechen will, muss er in der Regel wegen „keine hinreichenden Erfolgsaussichten“ (oder Mutwilligkeit) ablehnen. Dies hat er vernünftig zu begründen und sich an die gesetzlichen Vorgaben des § 128 VVG (hier klicken, um zum Gesetzestext zu gelangen) zu halten.
Einwendungen des Gegners dürfen in einer solchen Begründung nicht mehr enthalten sein, das sollten Sie wissen! Der Kunde braucht also seinen Anspruch auf Deckungszusage nur schlüssig begründen. Sonst kann auch mit Ihrer Hilfe ein Stichentscheidsverfahren nach den Bedingungen beantragt werden.
Die Entscheidung im Stichentscheidsverfahren ist für den Versicherer bindend, der VN kann aber bei Ablehnung trotzdem noch eine Deckungsklage einreichen. Von diesem bedingungsgemäßen kostenfreien Verfahren wird leider erstaunlich wenig Gebrauch gemacht! Das sollten Sie ändern und gehört auch zu Ihren Aufgaben und Pflichten. Wenn Sie als Versicherungsmakler*in dann auch nicht mehr weiterkommen, sollten Sie die Angelegenheit schnell zur Deckungsklage an Fachanwälte abgeben.