Der Bundesgerichtshof hat am 15.06.2021 eine bemerkenswerte und weitreichende Entscheidung gesprochen. Mit dem Urteil VI ZR 576/19 weist er einem Kunden unglaublich umfassende Auskunftsansprüche zu - und das zu allen über ihn gespeicherte personenbezogenen Daten.
Stephan Michaelis von der Kanzlei Michaelis fasst dieses Urteil stark gekürzt zusammen und zieht erste Konsequenzen:
Der Anspruchssteller (Kläger) schloss mit Wirkung zum 01.07.1997 einen Vertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung mit BUZ. Mit Schreiben vom 10.01.2016 widersprach er dem Zustandekommen des Vertrages. Neben der Rückzahlung aller eingezahlten Versicherungsbeiträgen wollte er auch umfassende Auskünfte zu seinen, bei der beklagten Versicherung verarbeiteten personenbezogenen Daten haben.
Er begehrte die Herausgabe aller und insbesondere folgender Kopien:
- Die intern zu seiner Person gewechselte Korrespondenz (einschließlich aller Emails), und alle internen Vermerke und Notizen, wie auch die internen Bewertungen zu seinen Ansprüchen aus der Versicherungspolice;
- und die gesamte mit ihm selbst gewechselte Korrespondenz (nochmal als Kopie)
Die Vorinstanzen hatten diese Ansprüche abgewiesen, der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des Berufungsgerichtes auf und verwies zurück. Dem Kunden wurden seine umfassenden Auskunftsansprüche dem Grunde nach zugesprochen! Ihm sind die beantragten Unterlagen auszuhändigen.
Insofern ist nach dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofes zunächst festzustellen, dass ein Kunde aufgrund des Artikel 15 DSGVO ein sehr umfassendes Auskunftsbegehren hat, wenn der Geschäftspartner personenbezogene Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, über den Kunden speichert. Dies ist heutzutage meist der Fall.
Gemäß Artikel 4 Nr. 1 HS 1 DSGVO sind „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen.
Diese sind nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potentiell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt.
Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhaltes, ihres Zweckes oder ihrer Auswirkung mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. BGH a.a.O., mit weiteren Verweisen, unter anderem auf EuGH, Urteil vom 20.12.2017, Az. Rs.C-43/16).
Unter diesem sehr weit gefassten Anwendungsbereich subsumiert der Bundesgerichtshof dann die vom Kunden geltend gemachten Unterlagen.
Nochmalige Herausgabe der Korrespondenz?
Der BGH ist zudem der Auffassung, dass auch schon die bereits mit dem Kunden gewechselte Korrespondenz – nochmals! – in Kopie herauszugeben ist. Denn nach dem Erwähnungsgrund 63 Satz 1, Art. 12 Abs. 2 DSGVO kann der Auskunftsberechtigte grundsätzlich wiederholt Auskunft verlangen.
Der Auskunftsanspruch beschränkt sich also nicht nur auf Daten, die dem Betroffenen noch nicht bekannt sind. Er kann auch etwaige Zweitschriften oder Nachträge zu dem Versicherungsschein geltend machen.
Anspruch auf vertrauliche interne Dokumente?
Die Erwägung des Berufungsgerichts, es handele sich bei Vermerken um "interne Vorgänge der Beklagten", ist im Hinblick auf den Begriff der personenbezogenen Daten ohne Relevanz. Der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO setzt offensichtlich weder nach seinem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck voraus, dass die fraglichen Daten extern zugänglich sind (so der BGH).
Der BGH hatte also auch die internen Telefon- und Gesprächsnotizen und sonstige interne Vermerke als auskunftsverpflichtend angesehen. Sogar die Korrespondenz des Versicherers mit Dritten (zum Beispiel Ärzten oder Rechtsanwälten) kann ebenfalls auf die Person des Anspruchsstellers bezogene Daten enthalten und ist dem Grunde nach auszuhändigen.
Im vorliegenden Fall sei aber mit der abschließenden Negativauskunft der Informationsanspruch des Versicherungsnehmers erfüllt. Was es nicht gibt, kann auch nicht in Kopie ausgehändigt werden.
Der BGH verweist noch auf die Problematik zu „rechtlichen Analysen“ im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH vom 17.07.2014 und merkt auch an, dass etwaige Unterlagen und auch Provisionszahlungen an Dritte, die keinen Bezug zur Person des Anspruchsstellers haben, nicht als Auskünfte zu erteilen sind.
Fazit:
- Der Bundesgerichtshof weist einem Kunden unglaublich umfassende Auskunftsansprüche zu allen über ihn gespeicherte personenbezogenen Daten zu.
- Der Kunde hat diesen umfassenden Auskunftsanspruch gem. Art. 15 Abs. 1 DSGVO.
- Dieses Auskunftsbegehren ist binnen Monatsfrist in Kopie gegenüber einem Anspruchsberechtigten als Bringschuld mitzuteilen.
- Die Auskunft umfasst auch die schon gewechselte Korrespondenz darüberhinausgehende interne Vermerke und Unterlagen.
Jede Medaille hat aber zwei Seiten: Problematisch ist es, dass entsprechend dieser BGH-Entscheidung auch Sie, wenn Sie personenbezogene Daten Ihrer Kunden speichern, gleichermaßen zur sehr umfassenden Auskunft gegenüber Ihren Kunden verpflichtet sind.
Diese Auskunftspflicht kann auch nicht über einen Maklervertrag eingeschränkt werden. Der BGH hat in dieser Entscheidung zunächst zwar nur die generelle Rechtslage gegenüber einem Versicherer geklärt, diese generelle Rechtslage ist aber ebenso auf die Auskunftsansprüche eines Kunden gegenüber seiner Versicherungsmaklerin oder seinem Versicherungsmakler anwendbar.
Es wird aber vermutlich auch noch nicht das letzte Wort zum Umfang der Auskunftspflicht gesprochen sein. Denn der BGH konnte mangels Sachvortrag nicht überprüfen, ob
- Zwecke verfolgt seien, die von Art. 15 DSGVO nicht geschützt seien oder
- mit ihrer Erfüllung ein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden wäre oder
- möglicherweise auch das Geheimhaltungsinteresse des Auskunftspflichtigen entgegenstünde.
Daher musste der BGH in dieser Entscheidung offenlassen, wie derartige Einwendungen im konkreten Fall rechtlich zu bewerten seien. Trotzdem sollten wir zunächst einmal festhalten, dass generell ein sehr umfassender und weitreichender Auskunftsanspruch nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung besteht.
Ein solch umfassender Auskunftsanspruch ist gegenüber dem Auskunftsberechtigten also binnen eines Monats zu erfüllen, um weitere kostenpflichtige Streitigkeiten oder die Einschaltung eines Landesdatenschutzbeauftragten zu vermeiden.
Diese zugrundeliegende Entscheidung, die noch weitere interessante Einzelheiten und Ansichten enthält finden Sie hier.