So erleichtern Geodaten die Risikoabschätzung

Die Arbeit von Versicherungsunternehmen gleicht einem ständigen Balanceakt: Ihr Anspruch ist es, Produkte zu entwickeln, die rentabel sind, ihren Kunden aber gleichzeitig den bestmöglichen Service bieten. Die Risikoabschätzung spielt dabei eine wichtige Rolle, denn sie hält für beide Seiten das Gleichgewicht. Doch genau an dieser Stelle gibt es ein entscheidendes Problem, das von Jahr zu Jahr weiter wächst – und das ist der Klimawandel. Seine Folgen stellen eine risikoreiche Unbekannte dar und für Versicherer ist es jetzt höchste Zeit, sie zu entschlüsseln.

Erde-Netzwerk-285202917-AS-Sergey-NivensErde-Netzwerk-285202917-AS-Sergey-NivensSergey Nivens – stock.adobe.com

Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher spürbar

Thomas Kijftenbelt, Director Sales, Esri DECH Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind rund 46 Prozent der Wohngebäude in Deutschland gegen Elementarschäden versichert, die beispielsweise durch Sturm, Erdbeben oder Überschwemmungen verursacht wurden. Im Ahrtal, das im Sommer dieses Jahrs mit verheerendem Starkregen zu kämpfen hatte, liegt die Quote jedoch unter dem bundesweiten Durchschnitt. Diese Diskrepanz zeigt: Obwohl der Klimawandel voranschreitet und seine Folgen auch in Deutschland und Europa immer deutlicher zu spüren sind, war das tatsächliche Risiko bis vor Kurzem nicht im Bewusstsein der Bevölkerung angelangt. Stattdessen wurden Naturkatastrophen häufig noch immer mit weit entfernten Ländern assoziiert. Doch das Risiko, auch zum Opfer von Überflutungen, Waldbränden oder heftigen Stürmen zu werden, hat sich auch hierzulande drastisch erhöht. Eine Karte des Umweltbundesamtes gibt Auskunft darüber, wie dies konkret aussehen könnte: So wird sich im Berchtesgadener Land, das 2021 ebenfalls von Hochwasser betroffen war, die Zahl der Starkregentage von 22 auf 27 erhöhen. Im Vergleich dazu hat der Spreewald mit steigenden Temperaturen zu kämpfen: Während es zwischen 1961 und 1990 hier noch zu 7,7 Hitzetagen pro Jahr kam, wird sich die Anzahl bis zum Ende dieses Jahrhunderts mehr als vervierfacht haben, was wiederum Dürren und Waldbrände begünstigt.

Location Intelligence verhilft zu einem dauerhaften Überblick

Diese neuen Gefahren stets im Auge zu behalten, ist für Versicherungsunternehmen essenziell. Denn nur wenn sie wissen, wie sich das Klima in verschiedenen Regionen entwickelt, sind sie auch dazu in der Lage, Risiken korrekt abzuschätzen und entsprechende Preismodelle zu kalkulieren. Location Intelligence ist das, was in Zukunft mehr denn je zählen wird. Doch noch bis in die 80er-Jahre hinein war dieses Prinzip kaum bekannt und Versicherer haben sich nur selten Gedanken darüber gemacht, welcher Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und dem konkreten Standort besteht. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten jedoch grundlegend geändert. Für Versicherungsunternehmen wie die Munich Re, R+V oder Provinzial ist es längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden, Geodaten in ihre Risikoabschätzung miteinzubeziehen. Um einen praktischen Nutzen aus dieser zusätzlichen Informationsebene ziehen zu können, führt allerdings kein Weg daran vorbei, moderne Technologien zu implementieren. Sie sind der Grundstein, den es braucht, damit Versicherer selbst größte Mengen an Geodaten mit anderen relevanten Informationen in einen Kontext zu bringen und so zu tiefergehenden Erkenntnissen gelangen können. Diese helfen ihnen dabei, datenbasierte Entscheidungen zu treffen und schon heute Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die den sich verändernden Umständen der Zukunft flexibel angepasst werden können und so stets den bestmöglichen Schutz bieten.

So bringt die Provinzial Geodaten zum Einsatz

Die Westfälische Provinzial Versicherung hat rund 1,8 Millionen Kunden, zu denen neben Privatpersonen auch Landwirte, Gewerbe- und Industriebetrieben zählen. Im Bereich der Wohngebäudeversicherung schützt sie Eigentümer vor den finanziellen Folgen von Schäden an ihrer Immobilie, wobei der Wert des zu versichernden Gebäudes klassischerweise als Grundlage für die Beitragsberechnung in der Verbundenen Gebäudeversicherung (VGV) dient. Hierfür werden Daten über den umbauten Raum oder die Wohnfläche herangezogen, die früher meist im Kundengespräch abgefragt oder im Rahmen eines Ortstermins ermittelt wurden. Dieses herkömmliche Verfahren brachte allerdings einige Nachteile mit sich: Es war nicht nur äußerst zeitintensiv, sondern stellte sich häufig auch als ungenau heraus. Da die berücksichtige Informationsebene eindimensional war, konnten Risiken, die beispielsweise von einem nahgelegenen Waldgebiet oder der Bodenbeschaffenheit ausgehen, nicht aufgedeckt werden. Dies resultierte nicht selten in einem mangelhaften Ergebnis – und zwar sowohl für die Versicherung als auch den Versicherten. Um dieses Problem zu lösen, ist die Provinzial auf eine moderne Lösung umgestiegen, die die Gebäudewertermittlung durch die Einbindung mehrerer Geodatenquellen unterstützt. Neben den aufbereiteten Gebäudedaten stehen auch Auswertungsergebnisse von KI-Algorithmen zur Verfügung, welche im Rahmen eines intuitiven Berechnungsdialogs mit den Informationen des Kunden kombiniert werden. Dadurch haben Mitarbeiter des Versicherers die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Informationsebenen in ihre Risikoabschätzung miteinzubeziehen und Zusammenhänge zu erkennen, die auf herkömmlichem Wege unsichtbar bleiben würden.

Mit Location Intelligence in eine abgesicherte Zukunft

Inzwischen ist bewiesen, dass der Klimawandel zumindest eine Teilschuld an der Zerstörung trägt, die Regionen wie das Ahrtal in diesem Jahr erleiden mussten. Dass sich der hierdurch verursachte Schaden auf mehr als 29 Milliarden Euro belaufen könnte, übersteigt alles bisher Dagewesene. Tatsache ist jedoch auch, dass sich Naturkatastrophen wie diese auch in Deutschland häufen werden, denn der neueste Weltklimabericht legt nahe, dass neben Extremwetterereignissen auch der Anstieg des Meeresspiegels und vermehrte Dürreperioden großes Schadenspotenzial bergen. Für Versicherungsunternehmen ist es sehr wichtig, diese potenziellen Risiken im Blick zu behalten und in ihren Berechnungen zu berücksichtigen. Im besonderen Fall von betroffenen Regionen wie dem Ahrtal bedeutet dies zum Beispiel, bei der Einschätzung von Immobilien auch das Risiko einzukalkulieren, das selbst von harmlos wirkenden Hanglagen oder Bächen ausgehen könnte – ebenso wie die Beschaffenheit des Grundstücks, das bei der nächsten Flut absacken und davon gespült werden könnte. Nur dann, wenn all diese Risikofaktoren aufgedeckt werden, sind Versicherer in der Lage, auch angesichts einer ungewissen Zukunft das Gleichgewicht zwischen Schutz und Rentabilität aufrechtzuerhalten.

Über den Autor:

Thomas Kijftenbelt ist seit 2019 Director Sales bei Esri DECH, dem weltweiten Marktführer für GIS-Software und Location Intelligence. Zuvor war er 20 Jahre lang in verschiedenen Positionen bei Siemens in Deutschland und den Niederlanden tätig.

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