Die aktuelle Studie „Talents for Insurance 2022“ analysiert Erfolgstreiber für das Personalmarketing der Versicherer und differenziert wichtige Zielgruppen, Kommunikationsinhalte und Kommunikationskanäle. Versicherer sind als Arbeitgeber durchaus attraktiv – bisher aber nur selten ein Wunscharbeitgeber.
Die Versicherungsbranche ist trotz mancher Imageprobleme im Wettbewerb um neue Talente per se nicht schlecht aufgestellt. Gepunktet wird vor allem mit Gehalt, Arbeitsplatzsicherheit und der Möglichkeit zum flexiblen Arbeiten im Homeoffice. Generell kann sich hierzulande fast jeder dritte (32 Prozent) aller Schüler, Studenten und jüngeren Berufstätigen gut vorstellen, zukünftig für einen Versicherer zu arbeiten. Lediglich 14 Prozent schließen dies kategorisch aus.
Allianz bei Bekanntheit und Attraktivität vorne
Woran es der Branche im „War for Talents“ aber weiterhin mangelt, um als attraktiver Arbeitgeber häufiger in die engere Wahl der Bewerber zu kommen, sind inhaltliche, emotionale und beziehungsorientierte Stärken als Arbeitgeber. Im Vergleich zu 2019 zeigen sich hier aber auch positive Entwicklungen. Branchenintern hat erneut die Allianz die Nase in puncto Bekanntheit und Attraktivität als Arbeitgeber vorn. Aber auch weiteren Versicherern, wie beispielsweise HUK-Coburg, ERGO, R+V, AXA oder Öffentlich-Rechtliche, gelingt es, gegenüber der Konkurrenz zu punkten.
Dies zeigt die aktuelle Ausgabe der Personalmarktstudie „Talents for Insurance“ des Forschungs- und Beratungsinstituts Organomics aus Köln. Rund 4.750 Schüler, Studenten und Berufstätige im Alter zwischen 16 und 45 Jahren wurden zur Arbeitgeberattraktivität der Versicherungsbranche insgesamt, zu einzelnen Versicherern sowie zu ihren grundlegenden beruflichen Erwartungen, Wünschen und Präferenzen befragt. Differenziert wurde dabei auch nach unterschiedlichen Fachrichtungen und der Dauer der Berufstätigkeit. Identifiziert werden zentrale Stärken, Potentiale und Erfolgstreiber für das Recruiting, Personalmarketing und Employer Branding der Versicherer. Vertiefend wurden die Themen „New Work“ und „New Normal“ befragt.
Der ideale Arbeitgeber aus Bewerbersicht
Auf funktional-sachlicher Ebene sind es vor allem drei grundlegende Faktoren, die Unternehmen als Arbeitgeber für Bewerber besonders attraktiv machen:
- Gehalt und weitere finanzielle Benefits (77 Prozent)
- Work-Life-Balance (73 Prozent)
- Arbeitsplatzsicherheit (72 Prozent)
Vergleichsweise weniger bedeutsam sind den Talenten beispielsweise das allgemeine Unternehmensimage (38 Prozent) oder die Internationalität (26 Prozent) der Unternehmen. Zugleich ist zu beachten: Verschiedene Zielgruppen haben unterschiedliche Präferenz Schwerpunkte: Junge Bewerber stellen die Karriereentwicklung beispielsweise auf eine Stufe mit der Work-Life-Balance oder der Arbeitsplatzsicherheit. Auf emotionaler und beziehungsorientierter Ebene stehen für die Bewerber vor allem das ehrliche (77 Prozent) und wertschätzende (75 Prozent) Handeln von Unternehmen im Vordergrund. Ebenfalls bedeutsam, im Vergleich aber weniger stark, sind nachhaltiges (44 Prozent) und agiles (43 Prozent) Verhalten.
Versicherer erfüllen Erwartungen nur bedingt
Vergleicht man die Erwartungen an einen „idealen“ zukünftigen Arbeitgeber mit denjenigen Stärken, die Bewerber speziell der Versicherungswirtschaft in höherem Maße zusprechen, so zeigt sich: Größte Stärke der Versicherungsbranche aus Bewerbersicht sind die Möglichkeit zum flexiblen und mobilen Arbeiten wie im Homeoffice (56 Prozent), das Gehalt (55 Prozent) und die Arbeitsplatzsicherheit (55 Prozent).
Funktionale Erwartungen an die Arbeitgeber werden von den Versicherern überwiegend erfüllt und können daher als „Trumpfkarten“ ausgespielt werden. Aber: Gerade bei den für die Bewerber ebenfalls wichtigen emotionalen und beziehungsrelevanten Stärken können die Versicherer immer noch nicht ausreichend punkten. Weder Ehrlichkeit (37 Prozent; Vergleichswert 2019: 33 Prozent) noch Wertschätzung (40 Prozent; 2019: 34 Prozent) erreichen bei der Einschätzung der Attraktivität der Branche als Arbeitgeber hohe Werte.
Ähnliches gilt auch in puncto spannende Aufgabenfelder. Positiv zu verzeichnen ist hier – im Vergleich zu 2019 – immerhin ein positiver Entwicklungstrend. Dr. Thomas Bittner, Geschäftsführer der Organomics GmbH in Köln, sagt:
Funktionale Nutzenargumente sind eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung, um als Arbeitgeber in die engere Wahl zu kommen, oder sogar zum Wunscharbeitgeber zu werden. Es gilt, neue Talente stärker auch auf der inhaltlichen und emotionalen Ebene zu erreichen – mit Qualitäten, die den Bewerbern besonders wichtig sind, der Versicherungsbranche bisher aber oft noch nicht zugeschrieben werden. Dabei geht es nicht um Gefühlsduselei, sondern darum, den potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein ansprechendes, wertegeleitetes und stabiles Beziehungsangebot zu machen.
Allianz führt brancheninterne Arbeitgeber-Rankings an
Auf der branchenbezogenen Bekanntheits-Skala als Arbeitgeber führt die Allianz (73 Prozent), gefolgt von ERGO (60 Prozent), HUK-Coburg (60 Prozent) und AXA (55 Prozent). Große Versicherer erreichen als Arbeitgeber dabei sogar ähnlich hohe Bekanntheitswerte wie namhafte Unternehmen des Automobilsektors als Deutschlands größter Einzelbranche. Auch gegenüber der IT-Branche oder namhaften Unternehmen anderer Industrien (beispielsweise Bosch, Siemens) steht die Versicherungsbranche als möglicher Arbeitgeber recht gut da. Aber: Hohe Bekanntheit als Arbeitgeber ist kein Garant für Beliebtheit.
Als Wunscharbeitgeber in die engere Wahl kommen Unternehmen der Automobilbranche (allen voran Audi, BMW und Porsche) und Betriebe anderer Branchen deutlich häufiger als die Versicherer. Auf der branchenbezogen Attraktivitäts-Skala rangieren Allianz, Münchener Rück und HUK Coburg ganz oben. Der Allianz gelingt es – speziell unter den bereits Berufstätigen – in puncto Arbeitgeberattraktivität sogar noch vor dem jeweils aktuellen Arbeitgeber der Befragten zu landen.
Dies zeigt: Es lohnt sich für die Versicherungsunternehmen, auch Wechselwilligen und Quereinsteigern aus anderen Branchen attraktive Angebote zu machen – und nicht ausschließlich auf den brancheninternen Konkurrenzkampf, um die besten Talente zu fokussieren.
„New Work“ und „New Normal“ als besondere Herausforderungen
In der aktuellen Ausgabe der Studie „Talents for Insurance“ werden auch übergreifende und pandemiegetriebene Entwicklungen der letzten Jahre beleuchtet. Hier zeigt sich beispielsweise: Jeder dritte potentielle Bewerber (35 Prozent) kann sich mittlerweile vorstellen, die Hälfte seiner Arbeitszeit im Homeoffice zu verbringen. Zugleich wird aber auch das klassische Arbeiten im Büro weiterhin geschätzt; insbesondere von jüngeren Menschen, die noch stärker nach persönlichem Austausch und Orientierung suchen. Zugleich will mehr als jeder Zweite die Entscheidungen über Arbeitsort und Arbeitszeiten selbst treffen können. 15 Prozent wollen am liebsten gar nicht (mehr) im klassischen Büro arbeiten.
Möglichst flache Hierachien
Auch in puncto Qualität der Zusammenarbeit zeigen sich deutliche Differenzierungen der Erwartungen und Vorlieben: Jeder zweite Bewerber wünscht sich seine Führungskraft eher als beratenden Coach denn als klassische*n Vorgesetzte*n. Eine möglichst „hierarchiefreie“ Organisation ist für 42 Prozent der Bewerber bei der Arbeitgeberwahl besonders bedeutsam. Besonders wichtig ist vielen für ihre Arbeitstätigkeit auch, dass diese inspirierend (53 Prozent) ist und damit ein bedeutsamer Beitrag zur Unternehmensvision geleistet werden kann (47 Prozent). Agile Arbeitsmethoden und der Einsatz digitaler Arbeitstools sind ebenfalls jedem zweiten Bewerber besonders wichtig. Dr. Thomas Bittner erklärt:
Die Versicherungsbranche muss sich noch stärker darauf einstellen, mit unterschiedlichen – und teils auch gegenläufigen – Erwartungen und Wünschen der Bewerber konfrontiert zu werden, Dies erfordert konkrete organisationale Weiterentwicklungen, Flexibilisierungen und Neuintegrationen innerhalb der Führungs- und Unternehmenskultur. Dazu gehört auch die stärkere Sensibilisierung der Führungskräfte für eine moderne und vor allem wirksame Gestaltung der Führungsbeziehungen. Andernfalls liefe die Assekuranz aktuellen Entwicklungen und sich verändernden Erwartungen hinterher.
Zielgruppen und Kommunikationskanäle stärker differenzieren
Zentral für das Personalmarketing der Versicherer bleibt weiterhin, dieses sorgfältig über verschiedene Zielgruppen zu differenzieren. Denn unterschiedliche Bewerbergruppen haben teils sehr unterschiedliche Anforderungen und Wünsche an ihren zukünftigen Arbeitgeber.
Und unterscheiden sich darüber hinaus auch bei der Nutzung verschiedener Informationskanäle im Rahmen ihrer Arbeitgebersuche. Dabei spielen Faktoren wie Lebensalter, Geschlecht, unterschiedliche Ausbildungsrichtungen, bereits vorhergehende Berufserfahrung, aber auch Generationen- und Sozialisationsunterschiede, eine wichtige Rolle. Kurz: Verschiedene Zielgruppen sind – unter einem gemeinsamen Unternehmens- beziehungsweise Markendach – mit unterschiedlichen Botschaften und auf unterschiedlichen Kanälen am besten anzusprechen. Auch hierzu liefert die Studie zahlreiche Detail-Analysen zu den Bewerberpräferenzen.
Zugleich sollten die Versicherer nicht nur passiv auf Bewerber warten, sondern die Talente auch aktiv und eigeninitiativ ansprechen: 93 Prozent aller potentiellen Bewerber haben nichts dagegen, oder freuen sich sogar ausdrücklich darüber. Lediglich sieben Prozent lehnen das „Active Sourcing“ von Unternehmen ausdrücklich ab.
Fazit: Es gibt Nachholbedarf
Die Versicherer haben als Arbeitgeber durchaus einige Trümpfe in der Hand. Damit allein ist aber noch nichts gewonnen. Entscheidend im Recruiting und Personalmarketing sind das gekonnte Spiel und die Balance im Ganzen. Hier gibt es – trotz einiger positiver Entwicklungen – weiterhin Nachholbedarf. Sowohl für die Versicherungsbrache insgesamt gegenüber anderen Branchen, als auch für die einzelnen Versicherer mit Blick auf brancheninterne Benchmarks.
Übergreifend gilt, weiterhin an Branchen-, Unternehmens- und Arbeitgeberimages zu arbeiten. Zu häufig gelten Versicherer in puncto Unternehmenskultur – ob als reines Vorurteil oder die Realität spiegelnd, sei hier dahingestellt – noch als spröde, langweilig, intransparent und zu konservativ. Deutlich mehr als beispielsweise beziehungsoffen, ansprechend, kreativ oder zugewandt.
Zu guter Letzt gilt zu beachten: Eine Reihe von für die Arbeitgeberwahl und die Personalgewinnung wichtiger Faktoren sind auch für die längerfristige Mitarbeiterbindung bedeutsam. Nachhaltig erfolgreich bleibt als Arbeitgeber nur, wer das Thema Arbeitgeberattraktivität nach außen wie innen gestaltet und beherzigt. Und das, was er verspricht, dann auch tatsächlich hält.