Das sind die Trends im Personenschaden

Warum ist für Versicherungen nicht nur die technische, sondern auch die ethische Kompetenz im Umgang mit KI wichtig? Wie gelingt die stufenweise digitale Transformation eines Versicherers? Wie berechenbar ist die Lebenserwartung bei schwer(st)geschädigten Kleinkindern? Was gibt es Neues beim SVTR-Regress? Wie weit lassen sich Reha-Management und Versicherungskommunikation digitalisieren? Diese und weitere Themen diskutierten die Teilnehmenden auf der 10. Fachtagung Assecuranz.

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Zum zehnten Mal kamen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen auf der Fachtagung Assecuranz zusammen, um sich über Zukunftsthemen im Personenschaden auszutauschen. Für die Veranstalter begrüßten ACTINEO-Geschäftsführer (CSO) Lars Klußmeyer, Dominik Bach-Michaelis, Vorsitzender des Vorstands der e.Consult AG, und Marcus Vogel, Geschäftsführer bei RehaCare, im KOMED-Saal die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Organisation an Kundenanliegen ausrichten

Über die digitale Transformation des Geschäftsmodells bei der SIGNAL IDUNA-Gruppe informierte im ersten Impulsvortrag Thomas Jacobi – Bereichsleiter Schaden Komposit und zugleich Tribe Lead im agilen Changeprozess des Versicherers. Eng verbunden mit der allgemeinen Unternehmensstrategie würden derzeit grundlegende Prozesse und Technologien in der Schadenregulierung transformiert.

Dabei müsse sich auch der Mindset der Mitarbeitenden wandeln: Selbst erfahrene Schadenmanager wie er, so Jacobi, müssten lernen, dass „man trotz jahrzehntelanger Erfahrung nicht alles weiß“. Neue Learnings habe es für ihn vor allem durch datenbasierte Erhebungen der Kundenerwartungen gegeben.

Neben der erfolgreichen Umsetzung der digitalen Schadenmeldung für alle Schadenzweige und der Anzeige des aktuellen Bearbeitungsstatus des Schadens für alle Versicherungsnehmenden hätten die agilen Teams unter anderem eine KI-Anwendung für Dubiosfälle im Komposit-Schaden entwickelt.

Zukünftige Herausforderungen sieht Schadenmanager Jacobi vor allem im Recruiting und in der Bindung von neuen Talenten mit speziellen Profilen, in der konsequent digitalen Einbindung der Vertriebsschnittstelle sowie im Erwartungsmanagement einer zunehmend anspruchsvoller werdenden User-Community auf den Schadenplattformen.

KI erfordert gesicherten Raum für von Menschen getroffene Entscheidungen

In der zweiten Keynote stellte Prof. Dr. Jörg Kopecz von der FOM Hochschule für Oekonomie & Management die Frage: Welche Aspekte sind entscheidend, um erfolgreich für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) gerüstet zu sein? Vor dem Hintergrund prozessbezogener und ethischer Herausforderungen wie Transparenz, Fairness oder Deep-Fake-Technologien – und noch vor dem Eintritt autonomer Systeme als neuer Player in den Märkten – müsse sich das Kompetenzprofil für Mitarbeitende in den Versicherungen weiter wandeln und/oder von extern Know-how in das Unternehmen transferiert werden.

Aus Sicht des Referenten brauchen wir im Kontext von KI die Verankerung der Option der „zweitbesten Lösung“ in den Prozessen von Unternehmen, also einen klar gesicherten Raum für von Menschen getroffene Entscheidungen, für vermeintlich zweitbeste Entscheidungen.

Professor Kopecz erklärt, dass mehr als die meisten Branchen sich die Assekuranz sicherlich weiterhin mit den ethischen und ökonomischen Herausforderungen von KI auseinandersetzen werden müsse – nicht zuletzt wegen ihrer Rolle als ‚Helfer in der Not‘ und der damit verbundenen Verantwortung für Versichertendaten. Kompetenz im Umgang mit Implementierung und Nutzung von KI-Technologien dürfe sich dabei als unverzichtbar erweisen.

Ist die Lebenserwartung bei schwer(st)geschädigten Kleinkindern berechenbar?

Über die Herausforderungen bei der Berechnung der Lebenserwartung von schwer(st)geschädigten Kindern nach geburtsbezogenen und frühkindlichen (Unfall-)Schäden referierte anschließend Dr. med. Rokya Camara, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, und Leitende Oberärztin am St. Marien-Hospital Bonn.

Je früher es zu einer Schädigung komme, desto relevanter könne die Einbuße an Lebenszeit sein. Insbesondere für die Auswirkung auf ein sich entwickelndes Gehirn und Nervensystem sei zum Zeitpunkt der Schädigung eine Vorhersage kaum möglich. Die Lebenserwartung könne umso genauer geschätzt werden, je mehr Informationen über den Verlauf vorliegen; bestenfalls durch medizinische Berichte über mindestens drei bis sechs Jahre. Problematisch seien vor allem die grobe Rasterung der publizierten Überlebenstabellen, die Limitation der oberen Altersgrenze und fehlende Informationen zu relevanten Einflussgrößen.

Zudem fehlten Daten zur Kombination verschiedener Beeinträchtigungen. Aufgrund der Komplexität der verschiedenen Einflussfaktoren könne eine Einschätzung der Lebenserwartung letztendlich nur durch Personen mit entsprechender medizinischer Expertise erfolgen, bilanzierte Dr. med. Rokya Camara. Die Einschätzung müsse zudem angepasst werden, sobald neuere Informationen über Entwicklungen der/s Betroffenen vorlägen.

Rechtliche Handhabung des SVT-Regress

Aktuelle Rechtsprechung und Perspektiven zum Regress des Sozialversicherungsträgers beleuchtete Heinz Otto Höher, Rechtsanwalt/Partner und Leiter Personenschadenzentrum, BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB im nächsten Vortrag. Der Regress des Sozialversicherungsträgers sei geprägt von einer sachlichen und juristischen Auseinandersetzung.

Gerichtliche Verfahren seien sensibel, da streitige Urteile meist grundsätzliche Bedeutung hätten. Bei den rechtlichen Fragen zur Darlegungs- und Beweislast bei Einwendungen nach einer Rechnungsprüfung zeichne sich eine Tendenz heraus, dass dem SVT nur die Beweiserleichterungen zukommen, die auch der Geschädigte selbst hat. Verstärkt machten, so Höher, die SVT Regressansprüche nach § 110 SGB VII wegen grob fahrlässiger Verursachung eines Arbeitsunfalls geltend. Neben den schon üblichen Fällen ungesicherter Dacharbeiten kämen nun auch Verkehrsunfälle hinzu.

Schwierig seien für SVT die Abfindungen persönlicher Ansprüche und die Verjährung. Die Verjährung könne eintreten, bevor überhaupt Kenntnis vorgelegen hat. Zu betrügerischen Sachverhalten, die bei falschen Angaben der Beteiligten auch im SVT-Regress vorkommen können, habe der BGH im Beschluss VI ZB 36/21 grundlegende Fragen geklärt, auf die sich ein AH-Versicherer rechtzeitig einstellen müsse. Das Fazit des Rechtsexperten im Personenschaden: „Die SVT werden darauf angewiesen sein, den Regress pragmatisch zu handhaben, dies wird den Umgang untereinander leichter machen.“

Rehabilitation neu denken

Seine Vision zur Digitalisierung im Reha-Management stellte danach RehaCare COO Marcus Vogel mit dem Portal „Meine RehaCare“ sowie einem gemeinsamen Projekt mit Max Michels, CEO & Head of Sales Caspar Health, vor. Der konventionelle, örtlich und zeitlich begrenzte Zugang zu Therapie und Rehabilitation stehe einer qualifizierten Nachsorge derzeit oft im Weg und daher sei die nachhaltige Sicherung der Therapieerfolge häufig gefährdet, berichteten sie.

Michels zeigte anhand von aktuellen Studien, dass Caspar Health nachweislich wirksame und auf die Vorgaben der Kostenträger ausgerichtete Lösungen zum Erhalt und zur Wiederherstellung der Gesundheit anbieten kann. Zentral sei hierbei die Verbindung von digitaler Therapie und qualifizierter Betreuung durch medizinisches Fachpersonal, was Caspar Health als Kombinierte Versorgung bezeichnet.

Durch den zeit- und ortsunabhängigen Zugang könnten Barrieren reduziert und die Verfügbarkeit individueller Lösungen verbessert werden. RehaCare COO Vogel erläuterte die Vorteile der Kombinierten Versorgung für das komplexe Reha-Management und kündigte die Zusammenarbeit in der medizinischen und beruflichen Rehabilitation an. Für ein optimales Heilverfahren sei es notwendig, zum richtigen Zeitpunkt die jeweils besten Expert*innen in die Versorgungsplanung zu integrieren.

Einfacher, schneller, besser

Demografischer Wandel, zunehmender Personalmangel, volatile Schadenzahlen und steigender Druck nach Automatisierung und Digitalisierung – die Versicherungsbranche steht vor großen Herausforderungen. ACTINEO-Geschäftsführerin (COO) Verena Klumb und Stephen Voss, Co-Founder und CSO Sales & Marketing der Neodigital Versicherung, erläuterten in ihrem Vortrag am Beispiel der eigenen Kooperation, wie Versicherer in einer InsurTech-Partnerschaft eine sukzessive digitale Transformation der Schadenbearbeitung umsetzen können.

ACTINEO bietet dazu Versicherern, die nicht über den hohen Digitalisierungsstandard einer Neodigital verfügen, ein spartenübergreifendes Gesamtkonzept mit einem strategischen Mix aus personellen Ressourcen, passender Technologie und optimierten Prozessen an.

Ziel sei die stufenweise Digitalisierung und Transformation der Schadenaktivitäten beim Versicherer – von der manuellen Unterstützung in einer ersten Phase, über die Digitalisierung von (Teil-) Prozessen in den Regulierungs-Teams bei ACTINEO, bis hin zur Implementierung einer prozessreifen Lösung beim Versicherer.

Neuer e-Kommunikationsstandard im Schadenfall?

Für die e.Consult AG loteten Dominik Bach-Michaelis, Vorstand, und Moritz Brunner, Ressortleitung Versicherungskommunikation, aus, welche Möglichkeiten Führungskräfte aus dem Bereich Schaden nutzen könnten, um den Spagat zwischen Datenschutz, Fachkräftemangel und beschleunigter Schadenabwicklung für 2023 zu meistern. Wie lassen sich Kosten- und Haftungsrisiken wie Post und Fax im Einklang mit der eigenen IT-Kapazität und dem operativen Tagesgeschäft von Sachbearbeiter*innen aus der Schadenabteilung minimieren?

Durch eine in Mitte 2022 realisierte Gesetzänderung ergäben sich neue Zugangswege für die Versicherungsbranche zu professionellen Schadenbeteiligten wie Anwaltskanzleien (beA), Gerichten (EGVP), Berufsgenossenschaften und Behörden (beBPO). Gleichzeitig könnte dies jedoch zu einem Handlungsbedarf aus Sicht der Datenschutzbehörden führen – zumindest, wenn wie aktuell noch Fax oder E-Mail für die Kommunikation eingesetzt würden, warnten die Referenten. Erste konkrete Umsetzungsprojekte mit einem neuen Projekt („e-justice4all“) in Richtung eines neuen Kommunikationsstandards im Schadenfall seien vielversprechend angelaufen.

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