ESG-Beratungspflichten wurden durch EU-Verordnungen erweitert

Unter dem Akronym ESG (Environmental Social Governance – deutsch: Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) werden seit einiger Zeit auf europarechtlicher Ebene politische Mittel und Wege diskutiert, Investitionen in nachhaltige Unternehmungen zu lenken. Es handelt sich mithin um ein flächendeckendes Steuerungsvorhaben mit dem Ziel, die Volkswirtschaften der einzelnen Mitgliedsstaaten auf die Verwerfungen durch Umwelt- und Klimakrisen vorzubereiten.

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Ein Beitrag von Rechtsanwalt Stephan Michaelis, Rechtsanwalt Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte

Während die Fachabteilungen bei den Versicherern diesbezügliche Rechtsentwicklungen bei der Produktentwicklung genauestens beobachten, dürften ESG-Pflichten in der Aufmerksamkeit der Makler nur eine untergeordnete Rolle spielen, obwohl diese durch die europäische Transparenzverordnung und daraus resultierende Impressumspflichten bereits in der Maklerschaft bekannt geworden sind.

Für den Bereich der IBIP (Insurance-Based Investment Products – deutsch: Versicherungsanlageprodukte) treten ESG-Pflichten nun endgültig aus dem Schatten und müssen in den verstärkten Fokus der Vermittler rücken: Denn zum 21.04.2022 sind mehrere Delegierte Verordnungen (DV) in Kraft getreten, welche Wertpapierfirmen, Investmentfonds und Versicherer mit Wirkung zum 02.08.2022 gleichermaßen verpflichten, sogenannte Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden zu berücksichtigen.

Für den Bereich des Versicherungsvertriebs ist insoweit insbesondere die DV (EU) 2021/1257 von Bedeutung, welche die unter dem Regime der IDD (RL EU 2016/97) begründeten und durch vorherige Delegierte Verordnungen konkretisierten Informations- und Beratungspflichten von Versicherungsvermittlern weiter ausformt. Hiernach wird die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen bei Versicherungsanlageprodukten auch für Versicherungsvermittler verpflichtend. Delegierte Verordnungen der Europäischen Kommission entfalten unmittelbare Geltung in jedem Mitgliedsstaat, ohne dass es weiterer Umsetzungsakte bedarf.

Gesetzliche Definitionen bestimmen Beratungsumfang und Pflichtenreichweite

Dass Versicherungsanlageprodukte eine Sonderrolle im europäischen Versicherungsrecht einnehmen, ist dabei keine Neuigkeit. Auch in anderen Rechtsbereichen – wie etwa dem Geldwäscherecht – gelten besondere Regeln für kapitalbildende Versicherungsprodukte. Aufgrund ihrer Nähe zu gewöhnlichen Finanzanlagen werden strenge Vorschriften des Finanz- und Kapitalmarktrechts auch auf diese Versicherungsprodukte ausgedehnt.

Der Begriff des IBIP beziehungsweise Versicherungsanlageprodukts ist in der PRIIP-Verordnung (VO EU 1286/2014) legaldefiniert: Hiernach handelt es sich bei jeder Lebensversicherung um ein Versicherungsanlageprodukt, deren Fälligkeits- oder Rückkaufwert Marktschwankungen ausgesetzt ist; auch private Rentenversicherungen der dritten Schicht können hierunter fallen. Bereits zuvor galten hier besondere Vertriebserfordernisse, wie etwa die Pflicht zur Beibringung eines Basisinformationsblatts oder der Geeignetheitsprüfung.

Bei der Beratung und Vermittlung solcher kapitalbildenden Versicherungsprodukte an Verbraucher sind nun auch die Nachhaltigkeitspräferenzen, bei denen es sich um die Entscheidung des Kunden darüber, ob bestimmte Produkte in seine Anlage einbezogen werden sollen, handelt (vgl. etwa Art. 2 DV EU 2017/2359), einzubeziehen. Der Kunde hat dabei grundsätzlich die Möglichkeit zu entscheiden, ob er Nachhaltigkeit überhaupt berücksichtigen möchte.

Lehnt er dies ab, wird sein Wunsch dokumentiert und respektiert, sodass es auf weitere Erwägungen zur Nachhaltigkeit nicht ankommt. Äußert er den Wunsch, Nachhaltigkeit berücksichtigt wissen zu wollen, kann er seine Präferenz auf drei verschiedene Weisen hinterlegen:

  1. Der Kunde wünscht, dass ein Mindestanteil ökologisch nachhaltiger Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 1 VO (EU) 2020/852 (= Taxonomie-Verordnung) angelegt werden soll.
    Hiernach ist eine Investition nachhaltig, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer Umweltziele leistet, ohne andere ESG-Ziele zu beeinträchtigen. Die Europäische Kommission wird hierzu weitere Standards verabschieden.
    Als Umweltziele gelten: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verhinderung von Umweltverschmutzung und der Schutz sowie die Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen (vgl. Art. 9 VO EU 220/852). Für die Bereiche Social und Governance stehen derzeit nur Mindeststandards nach Art. 18 VO (EU) 2020/852 zur Verfügung.
  2. Der Kunde wünscht, dass ein Mindestanteil nachhaltiger Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 17 VO (EU) 2019/2088 (= Offenlegungsverordnung) angelegt werden soll.
    Hiernach ist eine Investition nachhaltig, wenn diese wenigstens zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt oder zur Erreichung eines Sozialziels beiträgt und die handelnden Unternehmen hierbei Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden.
  3. Der Kunde benennt die wichtigsten nachhaltigen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren.
    Der Kunde benennt bestimmte Umwelt-, Sozial-, Unternehmensführungs- oder Arbeitnehmerbelange, die er geschützt oder nicht beeinträchtigt wissen will.
  4. Berücksichtigung erklärter Nachhaltigkeitspräferenzen in der Vermittlung

    Für den Versicherungsmakler bedeutet dies, dass er bei der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten im Wege der Bedarfsermittlung erfragen muss, ob der Kunde wünscht, dass Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden sollen.

    Hierbei ist es sachgerecht, den Kunden über das europarechtliche ESG-Konzept in seinen Grundzügen aufzuklären, sodass dieser in der Lage ist, zu entscheiden, ob er eine Nachhaltigkeitsberücksichtigung gerade nach dem gesetzlichen Leitbild wünscht. Sachdienlich erscheint es auch, den Kunden darauf hinzuweisen, dass durch starre Nachhaltigkeitspräferenzen wirtschaftlich attraktive Produkte ausgegrenzt werden können.

    Ferner sollte der Makler den Kunden dahin gehend aufklären, welche Kategorien von Umweltzielen das Europarecht vorgibt, und auch auf den Umstand hinweisen, dass für die Bereiche Soziales und Unternehmensführung derzeit nur Mindeststandards definiert sind. Hier bietet sich die Gelegenheit, mit dem Kunden abzustimmen, wie intensiv Nachhaltigkeitspräferenzen verwirklicht sein müssen. An diesem Punkt wird die Ermittlung der Nachhaltigkeitspräferenzen auf Wunsch des Kunden entweder abgebrochen oder konkretisiert.

    Der Makler nimmt gegebenenfalls die Art der Nachhaltigkeitspräferenz nach den vorbeschriebenen drei Möglichkeiten auf. In der Folge ermittelt der Makler auf bekannte Art und Weise den klassischen Absicherungsbedarf des Kunden. Im Rahmen seiner Marktanalyse wählt der Makler sodann für den Kunden geeignete Produkte aus, bei denen er solche berücksichtigt, die nicht nur für die finanziellen Bedürfnisse des Kunden, sondern auch für dessen Nachhaltigkeitspräferenzen geeignet sind.

    Darauf aufbauend entwickelt der Makler – wie stets – eine nach fachlichen Kriterien vertretbare Abschlussempfehlung, die er angemessen begründet. Es empfiehlt sich insoweit, bei der Begründung auf die Abstimmung der wirtschaftlichen Bedürfnisse und Nachhaltigkeitspräferenzen einzugehen. Sollten die geäußerten Nachhaltigkeitspräferenzen eine Produktempfehlung ausschließen, da kein am Markt verfügbares Produkt den Anforderungen gerecht wird, so ist dies mit dem Kunden zu erörtern sowie zu dokumentieren. Ändert der Kunde hieraufhin seine Präferenz, so ist dies in der Beratungsdokumentation zu kennzeichnen.

    Kein Grund zur Besorgnis wegen Informationsmangels

    Die Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen reiht sich damit in ein stetig wachsendes Pflichtenportfolio für Vermittler ein, das nicht zuletzt durch europäische Vorgaben ausgebaut wird. Mit Blick auf diese gänzlich neue Pflichtendimension drängt sich dem geneigten Makler die Frage auf, wie ihm die nunmehr bei Kundenwunsch erforderliche Nachhaltigkeitsprüfung gelingen kann, schließlich ist der Makler hier entscheidend auf Informationen aus der Sphäre des Versicherers angewiesen.

    Diesen Umstand hat der europäische Gesetzgeber glücklicherweise erkannt und gibt den Versicherern spiegelbildlich auf, entsprechende Vertriebsinformationen bereitzustellen, die den Vermittler in die Lage versetzen, Kunden zu identifizieren, für deren Nachhaltigkeitspräferenzen das entsprechende Produkt nicht geeignet ist.

    Da für die europarechtlich geprägten Nachhaltigkeitsbegriffe derzeit noch nicht in ausreichendem Maße belastbare technische Standards und damit verbundene Bewertungskriterien verfügbar sind, sollte dem Kunden gegenüber offengelegt werden, dass der Makler bei seiner Beratung auf die vom Versicherer bereitgestellten Informationen zurückgreifen muss, ohne dass ihm eine Nachprüfung möglich ist.

    Seinen Informations- und Beratungspflichten wird der Makler daher regelmäßig bereits dann gerecht, wenn er die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden erfragt und bei seiner Produktauswahl mit den Informationen des Versicherers abgleicht. Hierdurch wird der Beratungsumfang zwar erweitert, jedoch dürften sich praktisch nur graduelle Abweichungen im Ablauf des Beratungsprozesses ergeben.

    Es kann insoweit konstatiert werden, dass es mit der Pflicht zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen zwar nun richtig losgeht, dies aber erst der Beginn einer zu beobachtenden und noch in der Entwicklung begriffenen Beratungsdimension bei Versicherungsanlageprodukten ist.

    Fazit

    Wer als Makler überprüfen will, ob er Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen seiner Beratung gegenüber dem Kunden nach den aktuellen rechtlichen Leitlinien korrekt berücksichtigt hat, kann hierzu auf unsere kostenlose Checkliste zur Nachhaltigkeitsberatung zurückgreifen.

    Die Checkliste gibt es hier als PDF zum Download.

    In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nachhaltigen Erfolg bei der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten und der damit verbundenen ESG-Beratung Ihrer Kunden.

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