Gesetzliche Änderungen bringen zuweilen auch Nebenwirkungen mit sich, die auf den ersten Blick nur schwer erkennbar sind. So auch bei der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV (Minijob).
Ein Beitrag von Herr Markus Kirner, Rentenberater und freiberuflicher Mitarbeiter in der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte
Die Minijobrente ist ein seit vielen Jahren beliebtes Instrument, um Arbeitnehmern im Bereich der geringfügigen Beschäftigung die Möglichkeit zu geben, Mehrarbeit (oder gleiche Stundezahl bei höherem Stundenlohn) zu leisten, ohne zugleich den Grenzwert der geringfügigen Beschäftigung zu überschreiten.
Die Vergütung für die Mehrarbeit wird zugunsten einer betrieblichen Altersversorgung umgewandelt, so dass das sozialversicherungsrechtliche Einkommen unter dem Grenzwert bleibt. Dieser war bis zum 31.12.2012 bei 400 Euro, vom 01.01.2013 an 450 Euro monatlich. Wesentlich entscheidender als die Erhöhung um 50 Euro waren aber die mit der Änderung einhergehenden rechtlichen Rahmenbedingungen.
So war der 400-Euro-Minijob grundsätzlich beitragsfrei für den Arbeitnehmeranteil in der Sozialversicherung, jedoch konnte auf Antrag des Minijobbers (opting-in) eine Beitragspflicht für den Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung entstehen. Hingegen besteht beim 450-Euro-Minijob grundsätzlich eine Beitragspflicht für den Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung (derzeit 3,6 Prozent), der jedoch durch den Minijobber abgewählt werden kann (opting-out).
Seit dem 01.10.2022 liegt nun der Grenzbetrag für die geringfügige Beschäftigung bei 520 Euro monatlich, wobei sich dieser Wert dynamisch analog der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns entwickeln wird.
Generell sind Minijobs - gleich ob mit oder ohne Arbeitnehmerbeitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung – sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse (mit Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung). Schließlich muss der Arbeitgeber pauschale Beiträge zur Renten- (15 Prozent) und Krankenversicherung leisten sowie für die Umlagen U1 - U3. Hinzu kommt eine pauschale Steuer von 2 Prozent.
Allerdings sind bei einer geringfügigen Beschäftigung nicht nur die Beiträge anders als bei „normalen“ Beschäftigungsverhältnissen, sondern auch die Leistungen der Sozialversicherung. Leistet der Minijobber keinen Eigenbeitrag, so erfolgt in der Rentenversicherung eine drastische Kürzung der aus Wartezeiten anrechnungsfähigen Monate.
In der Krankenversicherung ist der pauschale Arbeitgeberbeitrag lediglich ein Solidarbeitrag, ohne dass daraus ein eigener Krankenversicherungsschutz oder Anspruch auf Krankengeld entstehen würde. In der Pflegeversicherung gibt es für den Minijobber gar keinen Versicherungsschutz.
Gleiches gilt für die Arbeitslosenversicherung, hier erwerben geringfügige Beschäftigte keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Nur in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht ein vergleichbarer Schutz zu „normalen“ Beschäftigungsverhältnissen.
Grundgedanke der Minijob-Rente
Bei Überschreitung des Grenzbetrags für geringfügige Beschäftigung entsteht ein Beschäftigungsverhältnis im Übergangsbereich (vor 2019 Gleitzone genannt), in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber die regulären Beiträge zur Sozialversicherung entrichten. Zwar sah der Übergangsbereich gemäß § 20 SGB IV a.F. vor, das beitragspflichtige Beschäftigungsentgelt über eine komplexe Formel zu reduzieren und so eine niedrigere Sozialabgabenbelastung zu ermöglichen (bei gleichzeitig aber auch niedrigeren Sozialleistungen), jedoch kam es dennoch bei Überschreitung von zum Beispiel 50 Euro monatlich zu einem Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung von rund 58 Euro monatlich.
Die Minijobrente war daher ein beliebtes Instrument, um Arbeitnehmer im Bereich der geringfügigen Beschäftigung die Möglichkeit zu geben, Mehrarbeit (oder gleiche Stundezahl bei höherem Stundenlohn) zu leisten, ohne zugleich den Grenzwert der geringfügigen Beschäftigung zu überschreiten. Die Vergütung für die Mehrarbeit wurde zugunsten einer betrieblichen Altersversorgung umgewandelt, sodass das sozialversicherungsrechtliche Einkommen unter dem Grenzwert bleibt.
Gesetzliche Änderungen lassen Sinnhaftigkeit des Modells der Minijob-Rente hinterfragen
Mit der Erhöhung der Grenze für geringfügige Beschäftigung gab es zugleich auch wesentliche Änderungen im Zusammenhang mit dem Übergangsbereich. So ist auf der Leistungsseite nun geregelt, dass die Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung immer auf Grundlage des regulären Gehaltes ermittelt werden.
Zugleich wurde mit Ergänzung der „Übergangsbereichsformel“ dafür Sorge getragen, dass kein sprunghaftes Ansteigen der Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers bei Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze mehr entsteht. So löst ein Überschreiten von beispielsweise 50 Euro monatlich nach neuem Recht einen Arbeitnehmeranteil von lediglich etwa 15 Euro aus. Im Vergleich zum „Minijob“ gibt es dafür aber auch noch das volle Leistungsspektrum der Sozialversicherung, also auch Kranken, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.
Vor diesem Hintergrund ist die Sinnhaftigkeit des Modells der Minijob-Rente für die Zukunft zumindest zu hinterfragen, wenn nicht gar hinfällig geworden.
Auswirkungen für Arbeitgeber und Berater/Vermittler?
Kann nun durch die geänderten rechtlichen Umstände auch eine Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern mit Minijob-Renten entstehen und was bedeutet dies gegebenenfalls für den Berater/Vermittler?
Ein Beispiel verdeutlicht den Hintergrund der Frage: Ist das Einkommen des geringfügig Beschäftigten vor Entgeltumwandlung über 520 Euro monatlich (und durch die Entgeltumwandlung darunter), so könnte er durch (Teil-)Kündigung seiner Entgeltumwandlungsvereinbarung, verbunden mit der Reduzierung oder Beitragsfreistellung seiner betrieblichen Altersversorgung, den vollständigen Schutz der gesetzlichen Sozialversicherung erwerben, ohne jedoch den früheren Nachteil sprunghaft ansteigender Sozialversicherungsbeiträge.
Bei Kenntnis dieser Umstände wird sich manchen „Minijob-Rentenbesitzer“ wohl den Statuswechsel überlegen. Der Arbeitgeber kann übrigens den Statuswechsel nicht verhindern, dieser entsteht als Folge der Einstellung/Reduzierung der Entgeltumwandlung automatisch - auch gegen den Willen des Arbeitgebers.
Informationspflichten des Arbeitgebers können nicht ausgeschlossen werden: Das Bundesarbeitsgericht hat unter anderem in seinem Urteil vom 18. Februar 2020 (3 AZR 206/18) Stellung genommen zu Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers zur betrieblichen Altersversorgung.
Demnach hat der Arbeitgeber zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Erteilt er jedoch Auskünfte, ohne hierzu verpflichtet zu sein, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Andernfalls haftet der Arbeitgeber für Schäden, die der Arbeitnehmer aufgrund der fehlerhaften Auskunft erleidet.
Eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage zu unterrichten, wenn seine zuvor erteilten Auskünfte unrichtig werden, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände erkennen kann, dass die Richtigkeit der Auskunft auch für die Zukunft Bedeutung hat.
Bei bestehenden Minijob-Renten ist zu unterstellen, dass hier, wie oben beschrieben, häufig die Vermeidung des Überschreitens des Grenzbetrages für geringfügige Beschäftigung wesentliches Argument zur Einrichtung einer Entgeltumwandlung war und somit Bestandteil einer Initiative durch den Arbeitgeber oder dessen Beauftragten war.
Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgend bedürfte es daher wohl in einer solchen Fallgestaltung einer Information an die betreffenden Arbeitnehmer hinsichtlich geänderter rechtlicher Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen. Denn bei sorgfältige Betrachtung des Sachverhaltes kann jeder Arbeitgeber erkennen, dass hier Zusammenhänge mit der betrieblichen Altersversorgung bestehen.
Ob daraus resultierend dann auch Beratungspflichten für den betreuenden Vermittler entstehen, ist fraglich. Dies gilt selbst dann, wenn die Information an den Arbeitnehmer bei Einrichtung der Minijob-Rente ursprünglich durch den Vermittler und nicht durch den Arbeitgeber erfolgt ist. Denn der Vermittler handelt gegenüber dem Arbeitnehmer immer nur im Namen und Auftrag des Arbeitgebers.
Gibt es allerdings eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Vermittler, aus der abgeleitet werden kann, dass der Vermittler auch eine dauerhafte Betreuung des Arbeitgebers in Fragen der betrieblichen Altersversorgung übernimmt über die klassische Versicherungsvermittlung und-verwaltung hinausgehend (oder wurde der Anschein erweckt, dies zu tun), so könnte eine Beratungspflicht des Vermittlers als Hinweispflicht gegenüber dem Arbeitgeber in Betracht kommen.
Empfehlung
Ungeachtet eventueller rechtlicher Verpflichtungen sollte der Vermittler/Berater seinen Firmenkunden in allgemeiner Form auf die geänderten Rechtsverhältnisse hinweisen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, das bestehende Vertrauensverhältnis ungetrübt weiterbestehen zu lassen.
Ob und in welcher Form dann gegebenenfalls Arbeitnehmer mit Minijob-Renten informiert werden, sollte mit dem Arbeitgeber abgestimmt werden. Es genügen jedoch gegenüber den Arbeitnehmern allgemein gehaltene Hinweise zu den Änderungen hinsichtlich der Sozialversicherung.
Eine individuelle Beratung am konkreten Einzelfall sollte hingegen nicht erfolgen. Denn diese ginge zweifelsfrei über das hinaus, was ein Versicherungsvermittler im Rahmen seiner Beratungsdienstleistungen darf, ohne in Konflikt mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz zu geraten.
Abschließender Hinweis
Nicht nur in diesem Fall ist das Sozialversicherungsrecht im Zusammenhang mit der Entgeltumwandlung von wesentlicher Bedeutung. Wie beeinflusst die Entgeltumwandlung den Midijob oder die Grundrente, welche Auswirkungen hat sie auf die Krankenversicherung?
Derartige Aspekte sind fester Bestandteil des alljährlich stattfindenden bAV-Intensivseminar der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte. Rechtliche Hintergründe werden dabei ebenso besprochen wie Handlungsempfehlungen für die Beratungspraxis gegeben. Daneben stehen auch eine Reihe anderer maklerrelevanter Themen rund um die bAV auf der Agenda der ganztägigen Online-Veranstaltung am 18.04.2023 mit Herrn Markus Kirner.