Im zweiten Teil der Artikelserie liegt der Fokus auf der Erreichung strategischer Ziele sowie der geeigneten Methoden dafür. Statt also Agilität nur als Mittel zur Effizienzsteigerung zu verstehen, sollten Unternehmen der Effektivität viel mehr Aufmerksamkeit schenken. Dazu haben sich für uns zwei Aspekte herauskristallisiert, die sichergestellt werden müssen: Erstens, dass sie nur solche Funktionen und Produkte entwickeln, die für die Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich wertstiftend sind. Zweitens, dass sie wertstiftend für das eigene Unternehmen sind.
Das klingt selbstverständlich, wird aber in der (agilen) Wasserfallwelt nur selten berücksichtigt. Den ersten Aspekt haben wir auf der diesjährigen insureNXT in Köln mit unserem dreistündigen Masterclass-Format
„Moderne digitale Produktentwicklung in der Versicherungsbranche“ intensiv behandelt. Dort haben wir uns die Sollbruchstellen einer neuen App-Idee anhand ihrer Customer Journey angeschaut. Ein Teil der Journey war beispielsweise, dass potenzielle Kundinnen und Kunden in großer Zahl und vergleichsweise
günstig über Social-Media-Werbung in der App landen sollten. Da das im Beispiel der wichtigste Akquisekanal war, war es für den Erfolg der App wichtig, dass diese Annahme eintrifft.
Daher haben wir uns ein Experiment überlegt, mit dem wir diese Hypothese überprüfen können, ohne die App fertig entwickelt zu haben. In diesem Fall hätten wir die Werbung bereits live geschaltet und alle, die sie angeklickt haben, zu einer Umfrage weitergeleitet. So hätten wir die Performance der Anzeige bereits auswerten und Rückschlüsse auf diesen Akquisitionskanal und mit Einschränkungen auch auf den
Kernwert der App ziehen können.
Je mehr Zeit die Kundinnen und Kunden in unserer App verbringen, desto mehr Wert scheinen sie daraus zu ziehen. Und desto wahrscheinlicher ist es, dass sie dem Produkt treu bleiben.
Welches strategische Ziel soll erreicht werden?
Der zweite Aspekt besteht darin, sich im Vorfeld eines Produkts oder einer Funktion Gedanken darüber zu machen, welches strategische Ziel Produkt-Teams erreichen sollen und wie sie ihren Fortschritt sinnvoll messen können. Soll zum Beispiel die Kundenbindung erhöht werden, kann dies erst sehr spät gemessen werden. Mit einiger Sicherheit lässt sich aber sagen: Je mehr Zeit die Kundinnen und Kunden
in unserer App verbringen, desto mehr Wert scheinen sie daraus zu ziehen. Und desto wahrscheinlicher ist es, dass sie dem Produkt treu bleiben. Die Verweildauer können wir jederzeit und sofort messen und sie liefert somit viel früher wertvolles Feedback zum Erreichen der Unternehmensziele.
Das frühzeitige und explizite Testen der Annahmen, die dem digitalen Produkt zugrunde liegen (in Bezug auf die Akquisekanäle, das Geschäftsmodell und den Kernwert des Produkts), stellt sicher, dass das Produkt einen Mehrwert für den Nutzer oder die Nutzerin schafft. Das Herunterbrechen von spät messbaren Zielen auf früh messbare Metriken stellt sicher, dass das Produkt wertstiftend für das Unternehmen ist. Wird einer der beiden Aspekte vernachlässigt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Produkt nicht gebraucht wird und am Markt scheitert.
Egal, wie agil das Projekt gemanagt wird. Echte Champions-League-Organisationen, um in der Fußballmetapher zu bleiben, integrieren nahtlos diese beiden Ansätze: die Entdeckung der vielversprechendsten Produkte und Features (Product Discovery) und die eigentliche Umsetzung in Code (Product Delivery). So können jederzeit Anpassungen am Produkt und seinen Funktionen vorgenommen werden, wenn neue Nutzungsdaten und Feedback vorliegen. Das Ergebnis ist echte Business-Agilität statt agiler Wasserfallprojekte.
Weg mit den Silos, her mit dem lateralen Mindset
Die Entwicklung digitaler Produkte erfordert also nicht nur reine Umsetzungskompetenz in Form von Technikverständnis, sondern auch Domänenwissen und Nutzerzentrierung. Das können weder die Fachbereiche noch die IT- oder Designabteilungen jeweils für sich alleine lösen. Dennoch findet
insbesondere die Priorisierung von Produkten und Features in den Fachbereichen statt. Deren Product Owner sind dann häufig keine echten Wertmaximiererinnen und Wertmaximierer, wie es der Scrum Guide eigentlich vorgibt, sondern eher Budget- und Ticketverantwortliche. Auch wenn die Analogie an vielen Stellen hinkt: Das wäre in etwa so, als würde Netflix, ein Vorreiter des modernen Produktmanagements, seine Programm-Direktorinnen und Direktorinnen und Produzenten sowie Produzentinnen mit der Weiterentwicklung seiner Webplattform betrauen. Ein reiner Kompetenzaufbau in den Disziplinen Produktmanagement, User Experience Design oder IT kann daher weit weniger bewirken als eine echte Verankerung digitalen Produktmanagements in der Organisation. Denn viel häufiger stehen Diskussionen ohne Evidenz, monolithische Systeme, fehlende Teamautonomie, traditionelle Organisationsformen
und statische Budgetvorgaben einer wirklichen Effektivität im Weg.
Welche Stadien ein Unternehmen durchläuft und inwieweit davon die Rolle externer Partner betroffen ist lesen Sie im 3. Beitrag unserer Serie: Enablement wird wichtiger als Umsetzungskompetenz.
Lesen Sie auch den 1. Beitrag dieser Serie: Von Buzzwords zu Business -Worauf es bei modernen Produktmanagement ankommt, damit es Schlüssel zur digitalen Transformation in der Versicherungsbranche wird.
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