Das OLG Dresden hatte sich mit der Frage zu befassen, ob eine Berufsunfähigkeit eine Dauerhaftigkeit der Erkrankung voraussetze. Zu entscheiden war dies anlässlich einer an Brustkrebs erkrankten Versicherungsnehmerin.
Ein Beitrag von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Schutz und Informationstechnologierecht, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB
Die Versicherungsnehmerin erhielt im Dezember 2017 die Diagnose: Brustkrebs. Im Anschluss daran folgten zwei Operationen und eine Strahlentherapie. Die zuvor als Kundenberaterin beschäftigte Versicherungsnehmerin war danach von Dezember 2017 bis September 2018 arbeitsunfähig. Im Februar 2018 wurde bei ihr ein Grad der Behinderung in Höhe von 50 Prozent (GdB 50) durch den zuständigen Landkreis festgestellt. Die Verssicherungsnehmerin beantragte im Juli desselben Jahres bei dem Berufsunfähigkeitsversicherer die Zahlung einer Rente und nimmt dabei Bezug auf § 15 der allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ihres Versicherers:
„Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechenden Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist“
Nach Auffassung des Versicherers treffe ihn keine Einstandspflicht beziehungsweise Leistungsverpflichtung. Deshalb lehnte er den Antrag der Versicherungsnehmerin ab. Begründet hat der Versicherer dies mit der fehlenden Dauerhaftigkeit der gesundheitlichen Einschränkungen. Die Versicherungsnehmerin ist hingegen der Auffassung, den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (§ 15) sei kein Dauerhaftigkeitserfordernis zu entnehmen. Schließlich musste die Versicherungsnehmerin ihr Anliegen gerichtlich geltend machen.
Erfordernis der Dauerhaftigkeit?
Das Gericht war der Auffassung, dass eine Berufsunfähigkeit der Versicherungsnehmerin nicht vorlag (OLG Dresden, Beschl. v. 12.10.2022 – 4 U 673/22). Sie habe weder etwas vorgetragen noch Belege für die dauerhafte gesundheitliche Einschränkung um mehr als 50 Prozent aufgrund der Krebsdiagnose vorgelegt. Bei einer Krebserkrankung handele es sich zwar um eine schwere Erkrankung. Eine dauernde Einschränkung in der Berufsfähigkeit könne trotzdem nicht ohne weiteres angenommen werden. Insbesondere führe die Diagnose Krebs nicht automatisch zu einer dauerhaften Berufsunfähigkeit (siehe hierzu Berufsunfähigkeit wegen Krebs).
Der Begriff der Berufsunfähigkeit enthalte ein ungeschriebenes immanentes Erfordernis der Dauerhaftigkeit: Dieses gelte auch dann, wenn es in den Versicherungsbedingungen nicht ausdrücklich erwähnt wurde.
Auslegung der Versicherungsbedingungen
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges sie verstehen würde. Bezug genommen wird dabei auf das Verständnis eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Vorkenntnisse, mithin auch auf seine Interessen. Primär sei vom Bedingungswortlaut der AVB auszugehen, so das Gericht. Anschließend könne man auch den mit dem Bedingungswerk verfolgten Sinn und Zweck als Maßstab hinzuziehen, sofern der Versicherungsnehmer diesen erkennt.
Im vorliegenden Fall enthalte der Wortlaut zwar keine Hinweise. Jedenfalls aus dem Sinnzusammenhang des § 15 der AVB könne der Versicherungsnehmer aber entnehmen, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht bei jeder beliebigen Erkrankung eintritt. Denn bereits im normalen Sprachgebrauch unterscheide man zwischen der Arbeitsunfähigkeit und der Berufsunfähigkeit. Ersteres beschreibe lediglich den Gesundheitszustand eines Versicherungsnehmers, der darüber hinaus nur vorübergehender Art ist und eine Wiederaufnahme der Berufsausübung erwarten lässt.
Anders bei der Berufsunfähigkeit: ginge man von keiner Erforderlichkeit der Dauerhaftigkeitskomponente aus, so müsse die Berufsunfähigkeitsversicherung auch in Fällen nur vorübergehender Erkrankungen, beispielsweise bei grippalen Infekten oder Frakturen entsprechende Rentenzahlungen erbringen. Dass diese Art von vorübergehenden Krankheiten richtigerweise nicht vom Versicherungsumfang umfasst sein sollte, dürfe einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch geläufig sein.
Schließlich bekräftige der Schutzzweck der Berufsunfähigkeitsversicherung dieses Ergebnis. Die Berufsunfähigkeitsversicherung habe einen Versorgungscharakter soll gegen Einkommenseinbußen absichern, die gerade mit einer dauernden Beeinträchtigung der Berufsausübung einhergehen.
Gesetzliche Definition der Berufsunfähigkeit
Auch die gesetzliche Definition der Begriffsunfähigkeit in § 172 Abs. 2 VVG spiegelt den Wortsinn des § 15 der AVB wider. Zwar sei eine Abweichung von den AVB zu Gunsten der Versicherungsnehmerin möglich, ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer könne jedoch nicht auf Grund einer fehlenden entsprechenden Formulierung schließen, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung auch in Fällen nur vorübergehender Erkrankung einstehen würde.
Aus diesem Grund sei § 15 der AVB dahingehend auszulegen, dass die behauptete Berufsunfähigkeit zum Zeitpunkt ihres Eintritts voraussichtlich auf Dauer vorliegen muss. Es bedarf mithin einer entsprechenden Prognose, da die Unfähigkeit, aufgrund der genannten körperlichen oder geistigen Zustände den Beruf auszuüben, gerade eine Einschränkung zur Voraussetzung hat, die über die bloße vorübergehende Erkrankung und die daraus folgende zeitweilige Arbeitsunfähigkeit hinaus geht und sich manifestiert hat.
Somit kommt eine Rentenzahlung aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auch nur in Betracht, wenn es sich bei der Rente tatsächlich um eine auf Dauer angelegte periodische Leistung handelt.
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Berufsunfähigkeitsversicherung sind nicht unklar formuliert, so das Gericht. Selbst wenn man eine Unklarheit den AVB annehme, führe die Anwendung der Unklarheitenregel zur Anwendung des § 172 VVG. Dieser setzt jedoch ebenfalls eine dauerhafte Einschränkung der beruflichen Fähigkeiten voraus. Damit gab das Gericht der Berufsunfähigkeitsversicherung Recht.
Fazit
Die Arbeitsunfähigkeit und die Berufsunfähigkeit unterscheiden sich grundlegend im Kriterium der Dauerhaftigkeit. Um einen Anspruch auf Zahlung einer Rente gegen den Berufsunfähigkeitsversicherer geltend zu machen, muss eine entsprechende Prognose vorgelegt werden, aus der die Dauerhaftigkeit der Berufsunfähigkeit hervorgeht.
Dies ergibt sich sowohl aus der gesetzlichen Definition der Berufsunfähigkeit als auch aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen sind.
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