Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Wie Arbeitgeber Geld verschwenden

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In der Praxis kommt es nun immer wieder zu Situationen, dass leider Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere sind es häufig diejenigen, mit denen sowieso die Zusammenarbeit in der Vergangenheit schwierig war, länger als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall begehren. Viele Arbeitgeber fühlen sich verpflichtet, dies nach bestimmten ärztlichen Attesten oder Aufforderungen von Krankenkassen zu leisten und zahlen teilweise über viele Monate bis Jahre Entgelte an einen Arbeitnehmer, der gar nicht mehr im Dienst erscheint.

Ein Beitrag von Dr. Jan Freitag, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte

Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat, was politisch völlig unumstritten ist, die gesetzgeberische Entscheidung getroffen, dass es zum (sozialen) Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehört, bei einer eigenen, unverschuldeten Erkrankung trotzdem keinen Lohnausfall erleiden zu müssen. Über das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) ist jeder Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zu einer Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu leisten (siehe § 3 Absatz 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz).

Die Kanzlei des Verfassers dieses Artikels bearbeitet häufig derartige Fälle. Es ist festzustellen, dass hier insbesondere auf Arbeitgeberseite viele teure Fehler gemacht werden:

Falsche Mythen im Recht der Entgeltfortzahlung

Es kursieren erfahrungsgemäß im Kern vier Mythen, die dieser Artikel einmal aufzeigen möchte. Didaktisch sollen dabei diese Mythen zwar in diesem Artikel lesbar sein, sie wurden allerdings bewusst durchgestrichen.

Die Entgeltfortzahlung beginnt neu zu laufen, wenn die Krankheit auch nur für einen Tag unterbrochen wird, der Arbeitnehmer auch nur für einen Tag ins Büro kommt.

Diese These stimmt nicht. Es gibt überhaupt keinen Ansatz im Entgeltfortzahlungsgesetz, woraus sich so etwas ergeben könnte. Im Gegenteil steht in § 3 Absatz 1 EntgFG ausdrücklich etwas anderes. Es wird nur auf die Gesamtzeit einer Erkrankung von sechs Wochen abgestellt, die sich über einen Zeitraum von zwölf Monaten erstrecken kann (§ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 EntgFG). Oder es muss zu einer Pause zwischen zwei identischen Erkrankungen von sechs Monaten gekommen sein (§ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 EntgFG).

Die zweite These lautet:

Es wurde doch mitgeteilt, man sieht es auf den ärztlichen Attesten, dass es um unterschiedliche Erkrankungen geht.

Dies ist der „Klassiker“ eines rechtlichen Missverständnisses, welchem aber viele Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Krankenkassen unterliegen. Denn damit wird der Begriff von angeblich „unterschiedlichen Erkrankungen“ im Sinne des Gesetzes und der Rechtsprechung überdehnt. Dazu wird gleich unter der Zwischenüberschrift „Einheit des Verhinderungsfalles / Fortsetzungszusammenhang“ detailliert ausgeführt werden.

Der dritte Mythos lautet bei derartigen Diskussionen:

Die Krankenkasse des Arbeitnehmers hat doch eindeutig bestätigt, dass es sich um unterschiedliche Erkrankungen handelt.

Nein, Krankenkassen haben nicht etwa eine hoheitliche Stellung, in dem Sinne, dass sie es seien, die entscheiden dürfen, ob ein Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zahlen muss oder nicht. Dies richtet sich immer noch nach Recht und Gesetz. Krankenkassen sind in diesem Fall Interessenvertreter mit eben jenem Interesse, so wenig wie möglich aus dem eigenen Budget Krankengeld zahlen zu müssen.

Für Krankenkassen mag es naturgemäß viel einfacher und günstiger sein, wenn der Arbeitgeber einfach weiter, unabhängig von der Länge der Erkrankung des Arbeitnehmers, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zahlt. Dies entscheiden aber bitte nicht die Krankenkassen.

Und es kursiert ein vierter Mythos:

Wir als Arbeitgeber werden einen großen Aufwand haben, weil wir kaum beweisen werden können, dass der Arbeitnehmer nicht an unterschiedlichen Erkrankungen erkrankt ist.

Nein, im Zivilrecht muss immer derjenige, der einen Anspruch geltend macht, darlegen und beweisen, dass er diesen Anspruch hat. Bei der Diskussion über die Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers bezüglich einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geht es dabei gerade nicht darum, dass ein Arbeitnehmer für geleistete Arbeit nicht vergütet werden soll (in diesem Fall hätte der Arbeitgeber in der Tat Beweisschwierigkeiten und sicher auch ein moralisches Problem), sondern es geht um einen, vom Gesetz gegebenen Anspruch des Arbeitnehmers, sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu erhalten, auch wenn er in dieser Zeit eben nicht gearbeitet hat.

Diesen Anspruch, trotz Erkrankung für sechs Wochen (oder gar mehr) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu erhalten, muss daher der Arbeitnehmer selbst durchsetzen, dabei darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen vorliegen. Er (der Arbeitnehmer) muss ärztliche Atteste vorlegen und so weiter. Er, der Arbeitnehmer, ist es, der gegebenenfalls eine Klage gegen seinen Arbeitgeber erheben müsste. Der Arbeitgeber darf dies, wenn er Zweifel hat, gern abwarten.

Diese Zweifel ergeben sich in der Regel bei der Frage, ob der Arbeitgeber tatsächlich verpflichtet ist, trotz Ablauf der Sechs-Wochen-Frist im § 3 Absatz 1 Satz 1 EntgFG, länger als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten:

Einheit des Verhinderungsfalles / Fortsetzungszusammenhang

Wenn ein Arbeitnehmer tatsächlich begehrt, länger als sechs Wochen, also länger als es § 3 Absatz 1 Satz 1 EntgFG vorsieht, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu erhalten, muss er nicht nur darlegen und beweisen, dass er über in einem Zeitraum von zwölf Monaten (§ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 EntgFG / siehe oben) über 6 Wochen hinaus erkrankt ist, sondern auch, dass die von ihm dargelegten und nachgewiesenen Erkrankungen in keiner Weise zusammenhängen.

Dazu ein Beispiel: Arbeitnehmer, die sehr lange, über sechs Wochen hinaus, innerhalb von zwölf Monaten erkrankt sind, leiden häufig an psychischen Erkrankungsbildern. Im Rahmen einer psychischen Erkrankung ergeben sich immer wieder andere Ausprägungen dieser, leider vorhandenen, psychischen Probleme, die sich zum Beispiel in Diarrhoe, die sich zum Beispiel in Migräne, oder die sich zum Beispiel in einem Bandscheibenvorfall äußern können. Das „Grundleiden“ bleibt aber die psychische Erkrankung.

Die Rechtsprechung hat unter dem Stichwort Einheit des Verhinderungsfallsoder „Fortsetzungszusammenhang“ für solche in Wahrheit typischen Krankheitssituationen geurteilt, dass es sich hierbei gerade nicht um unterschiedliche Erkrankungen, sondern um eine einheitliche Erkrankung handele.

In solchen (typischen) Konstellationen ist der Arbeitgeber nur verpflichtet, sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu zahlen, auch wenn auf Attesten, meist über ICD-Kennziffern, die unterschiedliche Erkrankungen darstellen sollen, unterschiedliche (aber zusammenhängende) Erkrankungen ausgewiesen werden.

Noch einmal: Es ist der Arbeitnehmer, der darlegen und beweisen müsste, dass zwischen den Erkrankungen kein Fortsetzungszusammenhang besteht, dass es keine Einheit des Verhinderungsfalles, dass es kein Grundleiden gibt, welches Ursache für die ungewöhnlich lange Erkrankung ist.

Es mag in der Praxis ausnahmsweise Fälle geben, in denen Erkrankungen tatsächlich überhaupt nicht zusammenhängen. Es dürften aber seltene Fälle sein, dass zum Beispiel jemand einen Unfall mit schweren Folgen (zum Beispiel einem Beinbruch) hat und später unter einer ganz anderen Erkrankung, zum Beispiel unter einer Virusinfektion, leidet. Aber auch hier wird immer wieder zu prüfen sein, ob sich nicht aus der ursprünglichen Verletzung eventuell psychische Folgen oder besondere Anfälligkeiten für beispielsweise bakterielle Erkrankungen ergeben, die mit dem ursprünglichen Grundleiden im Zusammenhang stehen.

Nach aller Erfahrung aus den vielen Fällen, die die Kanzlei in diesem Zusammenhang betreuen durfte, lässt sich ablesen, dass es medizinisch sehr selten ist, dass es ein Arbeitnehmer in der Regel nicht beweisen kann beziehungsweise der Arzt des Arbeitnehmers dies in der Regel nicht vor Gericht bezeugen will, dass es tatsächlich völlig unterschiedliche, völlig voneinander unabhängige Erkrankungen seien, wegen denen ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen will.

Mit diesem Wissen kann jeder Arbeitgeber viel Geld sparen, selbst wenn er über das Umlageverfahren U1 Teile (aber eben nicht alles) von der von ihm geleisteten Entgeltfortzahlung zurückerhält. Er überstrapaziert dann nicht das Umlageverfahren. Und für manche (Unternehmen mit mehr als 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) gilt dieses Umlageverfahren gar nicht, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist eine vollständige Firmenausgabe, leider ohne entsprechende Gegenleistung des Arbeitnehmers.

Mit diesem Wissen kann jeder Arbeitgeber gleichzeitig leichter gegen möglicherweise problematische Arbeitnehmer agieren, bei denen man den Eindruck hat, sie möchten ohne Arbeitsleistung so viel Geld vom Arbeitgeber generieren wie möglich. Erfahrungsgemäß geschehen häufig Wunder, wenn ein Arbeitgeber einem solchen Arbeitnehmer mitteilt, dass er sich zukünftig an das Gesetz hält und nach sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 EntgFG die Entgeltfortzahlung nun einstellt: Sehr häufig kommen in solchen Fällen entweder die Arbeitnehmer überraschend schnell wieder oder sind auf einmal doch mit einer vernünftigen Beendigungslösung einverstanden beziehungsweise kündigen selbst.

Man mag politisch darüber diskutieren, ob sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu lang oder zu kurz sind. In jedem Fall hält man sich als Arbeitgeber mit der beschriebenen Vorgehensweise an das geltende Gesetz.

Zu guter Letzt ist es das soziale Netz, welches jeden Arbeitnehmer auch nach Ende der Entgeltfortzahlung noch absichert; zunächst über Krankengeld und später über andere soziale Sicherungssysteme. Auch in solchen Fallkonstellationen „Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ kann Sie die Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte gern unterstützen.

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