Psychische Erkrankung: So viel Geld verlieren Führungskräfte durch Erwerbsminderung

Arm im Alter: Deutsche Führungskräfte rechnen aufgrund ihres Gehaltes mit einer guten Absicherung am Lebensabend. Nur wenigen ist bewusst, wie gravierend sich finanzielle Einbußen aufgrund psychischer Erkrankungen auswirken können. Der Coachinganbieter Don’t Call Me Sick! berechnet mögliche Verluste anhand fiktiver Erwerbsbiografien und stellt fest: Die Einbußen summieren sich im hohen fünfstelligen Bereich.

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Nicht nur eine Ausnahme: Gravierender Anstieg psychischer Erkrankungen

Die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen steigen seit Jahren in allen Berufsgruppen an, ebenso die Zahl der medizinischen Rehas aufgrund dieser Diagnose. Sie sind seit 2002 von 92.000 auf 171.000 2022 angewachsen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch bei den genehmigten Erwerbsminderungsrenten aufgrund von psychischen Erkrankungen wider. Deren Anteil am Gesamtvolumen der genehmigten Renten ist in den vergangenen 20 Jahren von 24,2 Prozent auf 43,3 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen – das entspricht einem Anstieg von knapp 75 Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil von Erwerbsminderungsrenten aufgrund der Diagnose Neubildungen, also Krebs, ist im gleichen Zeitraum von 13,5 auf 14,6 Prozent gestiegen – also nur um 8,1 Prozent.

Erwerbsminderung auf dem Höhepunkte der Karriere

Das Durchschnittsalter, in dem Menschen in die Erwerbsminderungsrente gehen, liegt bei etwas über 53 Jahren. Ein Alter, in dem Menschen beruflich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stehen, gut verdienen und oft auch Führungspositionen innehaben. Es sind Menschen, die noch Hauskredite abbezahlen und Kinder in der Ausbildung unterstützen. Was die Erwerbsminderung finanziell bedeutet, hat der Coachinganbieter Don’t Call Me Sick! anhand von verschiedenen fiktiven Personas in Führungspositionen berechnet. Zur Analyse herangezogen wurden verschiedene Berufsbilder: eine Stationsleitung in einer Klinik, ein Geschäftsstellenleiter in einer Versicherung, eine Filialleiterin im Einzelhandel, ein Bauleiter, ein IT-Manager und eine Bankzweigstellenleiterin.

Hohe Einbußen bei guten Gehältern: 680.000 Euro weniger für die Geschäftsstellenleitung

Grundsätzlich haben alle, die durch Erwerbsminderung vorzeitig in Rente gehen, erhebliche finanzielle Einbußen zwischen 60 und 68 Prozent im Vergleich zum letzten Einkommen. Für die Leitung einer Versicherungsgeschäftsstelle bedeutet das eine Erwerbsminderungsrente von knapp 2700 Euro und damit einen monatlichen Verlust von mindestens 4000 Euro im Vergleich zu dem Gehalt, was Führungskräfte in dieser Branche im Median verdienen. Im Entgeltatlas der Bundesarbeitsagentur sind nur Gehälter bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 6750 Euro erfasst. Summiert vom Beginn der Erwerbsminderungsrente bis zum Eintritt in die Altersrente ergibt das eine Summe von gut 680.000 Euro, die diese Person an Geld verliert – mindestens.

Teilzeitarbeit drückt die Erwerbsminderungsrente noch weiter

Noch mehr Geld verlieren Beschäftigte, die in Phasen ihres Berufslebens in Teilzeit gearbeitet haben, um sich um Kinder zu kümmern oder Verwandte zu pflegen. Bei den Erwerbspersonas, denen phasenweise Teilzeit zugeordnet wurde, liegen die Verluste zum Teil um acht Prozent höher als bei den Vergleichspersonen, die eine kontinuierliche Vollzeitkarriere vorweisen können. Für einen fiktiven IT-Manager, der fünf Jahre aufgrund einer Pflegeaufgabe in der Familie nur 20 Stunden in der Woche gearbeitet hat und später aufgrund einer psychischen Erkrankung aus dem Berufsleben austreten muss, bedeutet das: Er verliert 68 Prozent seines möglichen Einkommens – bis seinem 67. Lebensjahr sind das knapp 770.000 Euro. Die durch Pflege erworbenen Rentenpunkte gleichen diesen Verlust nicht aus. Eine Stationsleitung, die aufgrund von Kinderbetreuung und Weiterbildung im Laufe ihrer Karriere insgesamt 12 Jahre in Teilzeit gearbeitet hat, verliert mit gut 580.000 Euro ebenfalls 68 Prozent im Vergleich zu einem möglichen Einkommen bis zum regulären Renteneintritt.

Einbußen bleiben mit Beginn der Regelaltersrente bestehen

Noch bitterer: Sind Beschäftigte zu 100 Prozent erwerbsgemindert und können in den Jahren zwischen Eintritt der Erwerbsminderung und der Altersrente nicht noch zusätzliche Rentenpunkte sammeln, verlieren sie durch eine psychische Erkrankung nicht nur wertvolles Gehalt: Es bleibt auch im Alter bei der niedrigen Rente, die 10,8 Prozent Abschlag für den vorzeitigen Renteneintritt durch Erwerbsminderungsrente bleiben mit Eintritt ins reguläre Rentenalter erhalten. So wächst die finanzielle Lücke für die Betroffenen noch weiter an, da Erwerbsminderungsrentner*innen im Vergleich zu ihrer regulären Altersrente zusätzlich weitere Einbußen zwischen 15 und 20 Prozent hinnehmen müssen.

„Psychische Erkrankungen sind mittlerweile der häufigste Grund für eine Berufsunfähigkeit und die Betroffenen sind oft deutlich jünger als angenommen,” kommentiert Kara Pientka, Senior Lehrcoach und Mitgründerin von Dont Call Me Sick!, die Analyse. „In unserer Coachingpraxis erleben wir immer wieder, dass viele nicht nur mit den körperlichen Auswirkungen schwerer Krankheiten zu kämpfen haben, sondern auch die gravierenden finanziellen Aspekte einer Erkrankung aufgrund einer angeschlagenen Psyche verarbeitet werden müssen. Gerade Führungskräfte sind in ihrem Arbeitsleben oft außergewöhnlich belastet und damit einem erhöhten Risiko für langfristige Ausfälle aufgrund einer psychischen Erkrankung ausgesetzt. Dass die Sorge um die eigene mentale Gesundheit zu jeder Zeit auch effektive finanzielle Vorsorge ist, ist noch zu wenig verankert.”

Über diese Untersuchung: Für die Personas wurden Karrieren entwickelt, deren Gehaltsentwicklung in den verschiedenen Karrierestufen Anfänger, Midlevel, Senior und Führungskraft anhand des Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit festgelegt wurde. Da der Entgeltatlas aktuelle Gehaltsangaben enthält, haben wir für die Berechnung der Rentenpunkte das Durchschnittsgehalt von 2023 genommen. Die Zahlen wurden der Einfachheit halber für volle Jahre berechnet und beziehen sich auf den Zeitraum vom Eintritt in die Erwerbsminderungsrente bis zum Beginn der Altersrente.

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