Was sinkende Zinsen für den Anleihemarkt bedeuten

Prozent-Symbol vor Frau an Laptop
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„Festverzinsliche Wertpapiere gehören in ein gut diversifiziertes Portfolio, weil sie das Portfolio selbst und dessen Erträge stabilisieren“, erläutert Klaus Porwoll, Gründer und Inhaber der unabhängigen Berliner Honorar-Finanzberatung PecuniArs. Doch genau diese Funktion konnten Anleihen in der Nullzinsphase zwischen 2016 und 2022 nicht erfüllen, weil sie keine nennenswerten Erträge mehr brachten. Insofern war es für Anleiheinvestoren eine gute Nachricht, als die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli 2022 die Zinsen anhob, um die Inflation zu bekämpfen.

Bis September 2023 hatten die Währungshüter den Leitzins bis auf 4,5 Prozent angehoben. In der Folge kletterte die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen, die Ende 2021 noch eine negative Rendite aufwiesen, bis Mitte Juli dieses Jahres auf rund 2,4 Prozent. Unternehmensanleihen mit hoher Bonität bringen inzwischen wieder vier bis fünf Prozent, Hochzinsanleihen oder Anleihen aus den Emerging Markets sogar noch deutlich mehr. „Das bedeutet zum einen, dass Anleger mit Anleihen nun tatsächlich wieder nennenswerte und zum Teil auch recht attraktive Erträge vereinnahmen können“, erklärt Porwoll.

Sinkende Zinsen bieten Chance auf Kursgewinne bei Anleihen

Doch sind festverzinsliche Wertpapiere noch aus einem anderen Grund aktuell wieder interessant: Denn Anfang Juni dieses Jahres senkte die EZB die Zinsen zum ersten Mal seit 2022 wieder. Das wiederum bietet Chancen auf Kursgewinne. Der Grund: Bei Anleihen verhält sich der Kurs umgekehrt zu den Zinsen. Sinkt also der allgemeine Zinssatz, dann steigen die Kurse von festverzinslichen Wertpapieren. Das liegt daran, dass bei einem sinkenden Zinssatz, jene Anleihen, die sich bereits am Markt befinden, eine höhere Verzinsung als festverzinslichen Wertpapiere erhalten als die, die nach der Zinssenkung auf den Markt kommen. „Und damit werden die höher verzinsten Anleihen wertvoller und deren Kurs steigt“, erklärt der erfahrene Honorarberater.

Anleger haben es derzeit also im Anleihebereich mit einem ganz neuen Umfeld zu tun: Zum einen bringen sie wieder einen nennenswerten laufenden Ertrag und zum zweiten die Chance auf Kursgewinne – vor allem, wenn die Zinsen noch weiter zurückgehen sollten. „Und wer dann noch auf sichere Titel wie Bundesanleihen setzt, profitiert außerdem noch von deren Stabilität“, fasst Porwoll zusammen. Schließlich setzt häufig, wenn es zu Turbulenzen an den Aktienmärkten kommt, eine Flucht in sichere Anlagen ein. Dann steigen die Kurse sicherer Anleihen, was das Portfolio insgesamt stabilisiert.

Strategische Vermögensaufteilung individuell anpassen

Nach dieser ersten Zinssenkung raten deshalb viele Experten, wieder stärker auf festverzinsliche Wertpapiere zu setzen. Allerdings warnt Porwoll, dabei zu sehr ins Risiko zu gehen. „Grundsätzlich rate ich zu einer Aufteilung des Anlagevermögens auf Aktien und Anleihen, wobei das Verhältnis zwischen den beiden Anlageklassen im Wesentlichen von den individuellen Anlagezielen sowie der persönlichen Risikoneigung und der Risikotragfähigkeit des einzelnen Anlegers abhängt“, sagt er. Und dabei sollten Anleger sicheren Staatsanleihen, zum Beispiel aus dem Euroland, sowie Unternehmensanleihen hoher Bonität klar den Vorzug geben. Bei Hochzins- und Schwellenländeranleihen sind die Risiken hingegen vergleichsweise hoch und sie korrelieren zum Teil stark mit den Aktienmärkten, weshalb sie gerade in Krisenzeiten eben nicht zur Stabilisierung des Portfolios beitragen.

Bei der Umsetzung des Anleiheanteils eignen sich nach Ansicht von Klaus Porwoll Exchange Traded Funds (ETFs) besonders gut. „Damit kann man kostengünstig und breit gestreut in sichere Staatsanleihen und Unternehmensanleihen hoher Bonität investieren“, erklärt er. Dabei warnt der erfahrene Experte aber eindringlich vor dem Versuch des Markttimings, also des Identifizierens von geeigneten Ein- und Ausstiegszeitpunkten. „Selbst professionelle Investoren gelingt das höchstens in Ausnahmefällen“, so Porwoll weiter.

„Ich rate Anlegern deshalb unbedingt an der passenden strategischen Vermögensaufteilung und der auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittenen Strategie festzuhalten und nicht zu viel zu handeln, weil das Kosten verursacht und letztlich Rendite kostet“, sagt der Honorarberater. Auch wenn die aktuelle Situation für Anleiheinvestoren positiv und sehr aussichtsreich ist, sollte man nicht nur deshalb seinen Anleiheanteil erhöhen.