Aktuare sehen BVI-Fondsrente kritisch: Realistisch betrachtet ist es keine Alterssicherung
Die aktuelle Studie des Deutschen Fondsverbandes (BVI) zur Fondsrente präsentiert einen fondsbasierten Entsparplan als eine renditestarke und flexible Alternative zur klassischen Leibrente. Das vielfach beschworene Risiko eines frühzeitigen Kapitalverzehrs gebe es so nicht. Die Aktuarinnen und Aktuare von Deutscher Aktuarvereinigung e.V. (DAV) und IVS – Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. sehen die Studie kritisch. Mit realistischen Annahmen werden die in der Studie kleingerechneten Risiken wieder sichtbar.
In der BVI-Studie wird untersucht, wie sich ein Fondskapital unter verschiedenen Kapitalmarktannahmen entwickelt, wenn es ab Alter 67 in monatlichen, jährlich um 2 Prozent wachsenden Raten entspart wird. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass in 96 Prozent der Fälle das Fondskapital unter den getroffenen Annahmen bis zum Lebensende ausreicht und mit hoher Wahrscheinlichkeit im Todesfall ein ansehnlicher Kapitalbetrag vererbt werden kann. Das vielfach beschworene Risiko eines vorzeitigen Kapitalverzehrs gebe es so nicht.
Der Berufsstand der Aktuarinnen und Aktuare sieht die Studie kritisch, weil die zugrundeliegenden Annahmen dem Realitätscheck nicht standhalten. „Das Risiko des vorzeitigen Kapitalverzehrs gibt es sehr wohl, und es wird vom BVI auch nicht bestritten. Immerhin ist selbst in der Studie in 4 Prozent aller Fälle das Kapital aufgebraucht, während der Besitzer oder die Besitzerin des ursprünglichen Fondskapitals noch leben“, erläutert Dr. Maximilian Happacher, Vorstandsvorsitzender der DAV. „Allerdings wird dieses tatsächliche Risiko beim BVI kleingerechnet, und das liegt im Wesentlichen an den getroffenen Annahmen“, so Happacher.
Methodische Ungenauigkeit, unterschätzte Lebenserwartung und irreführende Bezeichnungen
Der BVI würfelt die einjährigen Renditen aus den historischen Renditen für Aktien und Anleihen in den letzten 30 Jahren aus. Das wäre methodisch noch akzeptabel, wenn die historischen Renditen als repräsentativ für die Zukunft angenommen werden könnten. Genau das ist aber bei den Anleiherenditen, die in der BVI-Studie immerhin mit 70 Prozent in die Gesamtrendite eingehen, nicht der Fall. Die hohen Renditen von Anleihen in der Vergangenheit wurden durch die jahrzehntelange, beispiellose Zinsschmelze, die erst 2022 ihr Ende gefunden hat, bewirkt. Solche Verhältnisse weiterer jahrzehntelanger Zinsrückgänge können und dürfen für die Zukunft nicht unterstellt werden.
Des Weiteren wird die Lebenserwartung um rund zwei Jahre unterschätzt, weil die Sterblichkeitsverhältnisse in den Jahren 2020 bis 2022, die stark durch Corona geprägt waren, auch für die Zukunft unterstellt werden. „Diese Annahme ist mehr als riskant. Tatsächlich sehen wir, dass sich die Sterblichkeiten wieder dem Vor-Corona-Niveau annähern. Und wir halten es weiterhin für geboten, von einem weiteren Anstieg der Lebenserwartung auszugehen“, so Happacher.
Schließlich entspricht in der BVI-Studie der entnommene, jährlich um 2 Prozent anwachsende Betrag größenordnungsmäßig einer lebenslangen garantierten Leibrente, die aus dem Anfangskapital finanziert werden könnte und jährlich durch Überschussbeteiligung anwächst.
Das sieht zunächst nach ‚level playing field‘ aus, ist es aber nicht. Die Renditeannahmen sind so hoch, dass die Kapitalmarktschwankungen dem Ratenzahlungsstrom nichts anhaben können und ganz nebenbei auch noch das Risiko des vorzeitigen Kapitalverzehrs auf Erbsengrößen zusammenschrumpft“, erläutert Happacher. „Mit realistischen Annahmen kommt das Risiko sofort wieder zum Vorschein und es wird deutlich: Das Konstrukt ist ein simpler Entnahmeplan, der mit Rentenbeginn startet, aber keine Sicherheit bietet, dass er ein Leben lang reicht.
Daher verwahren sich DAV und IVS gegen den Begriff „Fondsrente“. Diese kreative Namensgebung für einen Fondsentnahmeplan ist eine irreführende Marketingstrategie mit dem einzigen Ziel, den wahren Charakter des Produktes zu verschleiern.
Ein Entnahmesparplan ist keine Rente und darf daher auch nicht als solche bezeichnet werden“, so Happacher. Wir hoffen, dass dieser irreführende „Neusprech“ nicht unkritisch übernommen wird, insbesondere von der Fachpresse.
Alterssicherung muss für die Politik an oberster Stelle stehen
DAV und IVS sehen die BVI-Studie insbesondere vor dem Hintergrund der Diskussion um das Altersvorsorgedepot kritisch. „Die Studie sendet die Botschaft ‚Der vorzeitige Kapitalverzehr ist bei Entnahmeplänen ein vernachlässigbares Risiko‘“, führt Dr. Friedemann Lucius, Vorstandsvorsitzender des IVS, aus. „Dabei wird aber ausgeblendet, dass das Risiko des vorzeitigen Kapitalverzehrs entscheidend von der Höhe der Entsparrate abhängt.“ In den aktuellen politischen Diskussionen wird sogar vorgeschlagen, die reguläre Entnahmedauer auf Alter 85 festzulegen. „Ein solcher Entsparplan läuft aber – wie die DAV bereits in einem Pressegespräch Anfang Mai aufzeigen konnte – in mehr als 50 Prozent aller Fälle noch zu Lebzeiten aus“, so Lucius.
Echte Alterssicherung gelingt nach Auffassung der Aktuarinnen und Aktuare nur mit lebenslangen Renten. Dafür braucht es kollektive Systeme, in denen die bestehenden Risiken ausgeglichen werden können. Die Möglichkeiten, den Risikoausgleich zu organisieren, sind mannigfach, von der klassischen Leibrente mit Garantie und Überschussbeteiligung bis zu garantiefreien fondsgebundenen Leibrenten oder der reinen Beitragszusage im Sozialpartnermodell. Vergleichbar konstruierte Leibrenten könnten auch im Zusammenspiel mit Investmentfonds dargestellt werden. Ziel muss sein, auch in der betrieblichen Versorgung und privaten Vorsorge die lebenslange Absicherung mit einer attraktiven Kapitalanlage kombinieren zu können.