Insolvenzgefahr steigt in der Automobilbranche

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Die Erträge der deutschen Autoindustrie haben alle Prognosen für das Jahr 2021 übertroffen. Das sollte eigentlich ein Grund zum Jubeln sein für die größte Wirtschaftsbranche Deutschlands.

Doch Warenkreditversicherer Atradius warnt vor allzu großem Optimismus. Wie Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS bei Atradius, erklärt, sei es nicht unwahrscheinlich, dass die Insolvenzzahlen in der Branche noch in diesem Jahr um 20 Prozent ansteigen werden. Fakt sei: Die Erträge sind zwar deutlich gestiegen, doch der Absatz liegt weiterhin unter dem Niveau von 2019, dem Jahr vor Beginn der Coronakrise. Zwar erhöhen der Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aktuell den Druck auf die Branche, doch die Krise hatte sich schon seit vielen Jahren angebahnt.

Rund 410,9 Milliarden Euro betrug der Umsatz der deutschen Automobilindustrie im Jahr 2021 – und wuchs damit gegenüber dem Vorjahr um acht Prozent. Zwar wuchs auch die Zahl der Autoexporte im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr, doch im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 gingen die deutschen Autoexporte um 8,2 Prozent zurück. Karrenberg erläutert:

Die gegenläufige Entwicklung der Zahlen ist darauf zurückzuführen, dass die großen Autobauer ihren Fokus zuletzt auf die Produktion von Autos mit hohen Margen gesetzt haben.

Angesichts der Materialengpässe im vergangenen Jahr, wurde das verfügbare Material in Autos aus dem hochpreisigen Segment investiert. Dadurch konnte der Produktionsrückgang zumindest auf der Ertragsebene ausgeglichen werden. Hinzu komme, dass die Autobauer aktuell kaum noch Rabatte im Verkauf geben, da die Nachfrage insbesondere das Angebot im Elektrosegment deutlich übersteige. Die Lieferzeiten lägen teilweise bei 12 Monaten, oft würden keine Bestellungen mehr angenommen werden und durch den Verzicht auf Rabatte würden die Autobauer zusätzlich ihre Marge verbessern.

Der Krieg erhöht den Druck auf eine ohnehin angeschlagene Branche

Unterm Strich werden also weniger Autos verkauft: Allein im April waren es rund 21 Prozent weniger registrierte Neuwagen in Deutschland als im Vorjahr. Leidtragende sind die Zulieferer, bei denen von den zusätzlichen Gewinnen der Autobauer nichts ankommt. Stattdessen befinden sie sich in einer Lage, aus der es im Augenblick kaum ein Entrinnen gibt: Auf der einen Seite ist da die sinkende Nachfrage durch ihre Abnehmer, auf der anderen Seite erzeugen Lieferengpässe und teilweise deutliche Preissteigerungen bei wichtigen Rohstoffen Druck.

Dieser Druck wird derzeit durch den Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zusätzlich erhöht, da die Versorgungssicherheit mit insbesondere für die Halbleiterproduktion wichtigen Rohstoffen, dauerhaft auf der Kippe steht. Nickel und Aluminium beispielsweise werden zu großen Anteilen aus Russland importiert, große Mengen des Gases Neon stammen aus der Ukraine.

Im März hatten die Rohstoffpreise in Folge des Kriegsausbruchs vorübergehend deutlich angezogen, der Preis für Nickel ist seitdem um rund 18 Prozent gestiegen. Zusätzlich fehlen Transportmöglichkeiten für Güter aus dem Osten. Karrenberg führt dazu aus, dass in dieser Gemengelage es für die Zulieferer extrem schwierig sei, zu kalkulieren. Die steigenden Materialpreise und der geringe Output führen zu verringerter Liquidität der Firmen. Damit steige auch das Zahlungsausfallrisiko.

Viele haben die Trendwende zur Elektromobilität knapp verpasst

Der Krieg ist für die Branche jedoch nur ein zusätzlicher Faktor in einer sich schon seit längerer Zeit anbahnenden Krise. Viele Unternehmen leiden seit der Coronapandemie unter Liquiditätsengpässen, bei manchen setzte der Trend schrumpfender Margen jedoch schon vor Pandemiebeginn ein. Karrenberg erläutert:

Der Rückgang bei den Autoexporten zwischen den Jahren 2019 und 2021 ist vor allem auf eine sinkende Nachfrage bei Autos mit Verbrennungsmotor zurückzuführen. Der Absatz von Elektro- und Hybridfahrzeugen nahm in dieser Zeit um 78 Prozent zu.

Weite Teile der Autobranche hätten die Transformation zur Elektromobilität noch nicht oder stark verzögert vollzogen, sagt Karrenberg. Wo die bestehende Liquidität nicht genutzt worden sei, um sich auf den Wandel der Branche einzustellen, hinterlassen die Auswirkungen der Coronapandemie und die Verlängerung der Wirtschaftskrise durch den Ukrainekrieg besonders starke Blessuren, folgert der Experte.

Vor allem kleineren Zulieferern droht die Pleite

Viele Firmen haben sich im Verlauf der Coronakrise stark verschuldet. Mit den voraussichtlich steigenden Zinsen wird es für Unternehmen schwieriger die laufende Belastung aus Zins und Tilgung zu bedienen. Zudem werden Banken in der aktuellen Situation bei der Neukreditvergabe noch genauer auf die Bonität schauen. Gleichzeitig fallen die Corona-Hilfen der letzten Jahre weg und die vorübergehend ausgesetzte Insolvenzantragspflicht ist ebenfalls wieder in Kraft. Unternehmen, die sich dank dieser Erleichterungen im vergangenen Jahr noch über Wasser halten konnten, werden nun vermehrt Insolvenz anmelden müssen, vermutet Karrenberg.

Das gelte besonders für sogenannte „Zombie-Firmen“, also Unternehmen, die bereits vor der Krise Probleme hatten und die bislang nur dank der coronabedingten Sonderregelungen noch überlebt haben. Früher oder später werde es also zu einer gewissen Marktbereinigung kommen. Der Risiko-Experte betont:

Noch liegen die Insolvenzzahlen in der Automobilbranche um etwa 20 Prozent unter dem Wert aus der Zeit vor Corona. Es ist aber zu erwarten, dass sich die Zahlen mittelfristig deutlich nach oben korrigieren werden.

Vorrangig von Insolvenzen betroffen sein werden nach Einschätzung der Risikoexperten von Atradius kleinere Zulieferer aus der zweiten oder dritten Reihe. Hier sieht man bereits jetzt eine negative Entwicklung. Karrenberg erläutert, dass zwischen den Zulieferern der ersten Reihe, also den direkten Zulieferern, und den großen Autobauern eine starke gegenseitige Abhängigkeit bestehe. Den Autobauern sei viel daran gelegen, die Versorgung mit Autoteilen aufrechtzuerhalten. Es bestehe durchaus die Bereitschaft, ihren Zulieferern bei bestehenden Verträgen entgegenzukommen.

So gelänge es zumindest den großen Automotive-Suppliern, auch in Krisenzeiten nicht in die Insolvenz zu rutschen. Einen Automatismus, dass die großen Zulieferer ihre Preiserhöhungen bei den Autobauern durchsetzen können, werde es aber wohl kaum geben. Der Spielraum für Mehraufwendungen sei auch bei den Autobauern begrenzt, so Karrenberg. Die Regel laute: Je wichtiger der Zulieferer, desto weniger wahrscheinlich die Insolvenz

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