Hör auf zu heulen, mach deinen Job!

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Nach #MeToo war plötzlich alles anders. In ungezählten Berichten und Debatten meldeten sich Frauen zu Wort und gaben an, dass auch sie im Job diskriminiert, diffamiert und sexuell belästigt werden. Entsprechend groß war 2017 der #Aufschrei nach gesamtgesellschaftlicher Reform, nach Parität – insbesondere am Arbeitsplatz.

Inzwischen ist Sexismus zwar weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden, das Problem an sich jedoch blieb. Belästigung, ungleicher Lohn für gleichwertige Tätigkeit, vermeintliches Vergessen bei der Beförderung, Diskriminierung beim Bewerbungsverfahren oder Benachteiligung aufgrund von Schwangerschaft oder Elternzeit gehören insbesondere bei Frauen zum Arbeitsalltag. Bemerkenswert sei dabei, dass in zahlreichen Unternehmen noch immer eine Informationslücke darüber klaffe, was Sexismus überhaupt bedeute, welchen rechtlichen Rahmen es dafür gebe und wann Arbeitgeber einschreiten müssen, weiß Rebecca Gellert, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt im Arbeits- und Immobilienrecht bei der Korten Rechtsanwälte AG.

Arbeiten im zweiten Höllenkreis?

Sexismus im Job ist mehr als ein „dummer Spruch“ oder die Aufforderung des Chefs, entsprechend der Branche einen Rock zu tragen. Wer sich im deutschen Recht auf die Suche nach einer Definition begebe, werde im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) fündig, so Gellert. Demnach fallen darunter alle Handlungen und Äußerungen, die Menschen aufgrund ihres Geschlechts herabwürdigen. Anzügliche Bemerkungen, ungewollte Berührungen und obszöne Witzeleien gehören zu den verbreitetsten Ausprägungen. Unangebrachte Fragen mit sexuellem Hintergrund fallen aber ebenso darunter wie Hinterherpfeifen oder das Teilen von pornografischen Inhalten, fügt die Juristin an.

Selbst kurze Berührungen können eine Belästigung darstellen, sofern sie unerwünscht sind. Im Job verschwimmen dabei die Grenzen zwischen vorsätzlichem und unbeabsichtigtem Sexismus. Hinzu komme, dass er sich oft auch ironisch und vermeintlich wohlwollend zeige und ‚nur als Spaß‘ unter Kollegen gemeint gewesen sei, erläutert die Anwältin. Es gilt jedoch: Nicht die Beurteilung der Aggressoren ist ausschlaggebend, sondern das Unwohlsein der Betroffenen im Zusammenhang mit einer objektiven Betrachtung durch einen Dritten.

Vom Dürfen, Können und Sollen

Werden Menschen im Job mit Sexismus konfrontiert, wissen sie häufig nicht, wie sie damit umgehen sollen. Zumeist ist die erste Reaktion Scham, dicht gefolgt von Selbstzensur und Vermeidungsstrategien. Was also tun? Fühlen sich Mitarbeiter in einer Situation unwohl, belästigt oder genötigt, gelte es das sexistische Gebaren des Gegenübers offen anzusprechen und zu hinterfragen, erklärt Rebecca Gellert. Führe das zu keiner Verbesserung der Situation, heiße es Unterstützung suchen.

Vertrauenspersonen innerhalb des eigenen Unternehmens, beispielsweise Kollegen oder Vorgesetzte, stellen dabei gute Ansprechpartner dar – sofern sich diese nicht despektierlich verhalten. Sollte auch das keine Wirkung zeigen, können Betroffene sich mit dem Betriebsrat oder der zuständigen Gewerkschaft in Verbindung setzen. In einigen größeren Firmen gebe es mittlerweile eigene Stellen für Beschwerden, unterstreicht die Rechtsanwältin. Parallel dazu arbeiten manche Unternehmen auch proaktiv am Betriebsklima, indem sie einen verbindlichen Verhaltenskodex mit Richtlinien für einen respektvollen und rücksichtsvollen Umgang vorgeben.

Am Problem vorbei führt auch (k)ein Weg!

In jedem Fall obliegt es dem Arbeitgeber, Beschwerden über Sexismus im Unternehmen nachzugehen und, falls erforderlich, diskriminierendes Verhalten zu unterbinden. Je nach Schwere des Falls stehen dem Unternehmen hier verschiedene arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Verfügung, weiß die Juristin. Sollten Rüge und Abmahnung nicht zu einer Verhaltensänderung führen, kann es auch zur Umstrukturierung eines Teams oder als Ultima Ratio zur Kündigung kommen. Auch eine fristlose Kündigung ist nicht ausgeschlossen.

Haben Betroffene das Gefühl, ihr Arbeitgeber kommt der Fürsorgepflicht nicht oder zumindest nicht in ausreichendem Maße nach, stehen ihnen drei Handlungsoptionen offen. Laut § 13 AGG kann eine Beschwerde eingereicht werden, die der Betrieb prüfen muss. Außerdem steht es Beschäftigten auf Grundlage von § 14 AGG frei, die Tätigkeit ohne Gehaltseinbußen einzustellen, sofern dies dem eigenen Schutz dient. Darüber hinaus besteht gemäß § 15 AGG ein Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz, soweit ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot erfolgt ist.

Die schriftliche Geltendmachung eines solchen Anspruchs unterliegt grundsätzlich einer Frist von zwei Monaten. „Ob eine Benachteiligung vorliegt, ist dann im Einzelfall und unter Abwägung sämtlicher Umstände zu prüfen“, schließt Rebecca Gellert.

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